Kündigungsgrund: Tinder-Profil?!

Gesellschaftliche Moralvorstellungen im Beamten- und Arbeitsrecht

Lässt das Tinderprofil einer Soldatin ihre moralische Integrität in Frage stellen? Bundeswehr und Verwaltungsgericht sind sich einig...

Veröffentlicht am: 25.05.2022
Qualifikation: Anwältin in Hamburg und Berlin
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Disclaimer: Diesen Beitrag nutzt die Autorin, um sich Luft über eine aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu machen. Dieses Privileg steht ihr in ihrem aktuellen Beruf wunderbarerweise zu. Tatsächlich steht das Urteil mit dem Arbeitsrecht allenfalls sehr mittelbar in Verbindung. Gesagt werden muss es trotzdem. 

Das Urteil: Verweis wegen Inhalt auf Tinder-Profil

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG Az. 2 WRB 2.21) bestätigte den Verweis einer Soldatin, die auf ihrem Tinder-Profil folgenden Angaben veröffentlichte: „Offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.

Der ersten transgeschlechtlichen Bataillonskommandeurin war der Verweis durch ihren Disziplinarvorgesetzten der Bundeswehr zunächst vom Truppendienstgericht bestätigt worden. Dagegen ging die Soldatin vor - erfolglos.

Zweifel an moralischer & charakterlicher Integrität ?

Und jetzt, Trommelwirbel meine Damen und Herren, das Argument des Vorgesetzten: Die Formulierung in dem Profil lasse Zweifel an der moralischen Integrität der Kommandeurin aufkommen, weil Außenstehenden der Eindruck vermittelt werde, dass sie sich selbst und ihre Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziere - und das wirke sich negativ auf den Ruf der Bundeswehr aus. Ja. Das muss man erstmal sacken lassen.

Entscheidendes Argument war für die Richter unter anderem die angebliche Bekanntheit und Personalverantwortung der Klägerin für über 1000 Mitarbeiter.

Öffentlicher Dienst: Spezielle Kündigungsgründe aus Treuepflicht

Dass im öffentlichen Dienst Sonderregel gelten, ist ja nichts neues. Piercings und Tattoos stehen unter Beobachtung oder sind ganz verboten. Streiken ist ebenfalls verboten und Angestellte haben politische und religiöse Zurückhaltung auszuüben. Dies folgt aus der sog. Gesteigerten Treuepflicht der Beamten gegenüber dem Staat.

Ein Verstoß gegen diese Treuepflicht - etwa die Mitgliedschaft in einer verfassungstreuen Organisation - kann ein Kündigungsgrund sein. Soweit so gut: Verfassungstreue und das Absehen von Drogenexzessen in der Öffentlichkeit sind sicherlich Anforderungen, die man an einen Durchschnittsbeamten stellen darf.

Moralvorstellungen des 21. Jahrhunderts vs. Bundesverwaltungsgericht

Und nun folgt der bereits angekündigte Teil mit dem Luft machen: Wie ein Gericht 2022 einen solchen Verweis guten Gewissens bestätigen kann, leuchtet der Verfasserin leider nicht ein. Man möchte fast behaupten, sie schäumt sogar vor Wut. Zwischen Verfassungsuntreue und privater Untreue muss man ja vielleicht eine Unterscheidung machen.

Und überhaupt: Untreue stand noch nicht mal im Raum. Eine „offene Beziehung“, meine Damen und Herren Verwaltungsrichter, bedeutet eine gegenseitige Vereinbarung. Das eigentlich  moralisch verwertbare Verhalten, so werden alle fleißigen Tinderer und Tindererinnen sicherlich bestätigen, wäre doch, die Beziehung zu verheimlichen. Und was soll dieses Urteil dann eigentlich bezwecken? Muss die Soldatin lügen - oder darf sie mithin Dating-Portale gar nicht mehr nutzen? Darf man denn überhaupt noch Sex haben im öffentlichen Dienst? Oder gilt das nur für Frauen?

Trendwende: Privatleben verboten?

Woher kommt überhaupt dieser Trend, Personen des öffentlichen Lebens für ihr Privatleben zu schelten? Angefangen beim Rücktritt von Politikern, die nichts weiter verbrochen haben als in ihrer Freizeit in den Urlaub zu fahren - jetzt darf man also als Person des öffentlichen Lebens unserer aktuellen Moralvorstellung nach nicht einmal mehr Sex haben?

Dass die Verfasserin Worte wie „Patriarchat“ und „Feminismus“ in den Mund nimmt, passiert nun wirklich nicht jeden Tag. Aber wenn man dieses Urteil liest, muss doch eigentlich jede Frau der Bundesrepublik zur instant Feministin werden.

Man möchte ja beinahe die Beamten und Soldaten des Landes aufrufen, in stillem Protest über’s Wochenende ihre Dating-Profile mit wahllosen Sex-Aufrufen zu füllen … wenn nicht der Streik verboten wäre. Verbleibt zu hoffen, dass die Betroffene mittlerweile kein Tinder-Profil mehr braucht. Die öffentliche Berichterstattung in dem Fall dürfte für genug interessierte Sexobjekte jedenfalls in 2022 sorgen. 

Kündigung des Arbeitsvertrages wegen Tinder - geht das jetzt? 

Zwischen dem Beamtenrecht und dem Arbeitsrecht per se gibt es aber Gott sei Dank weiterhin viele Unterschiede. Eine Abmahnung oder etwa eine Kündigung eines Arbeitsvertrages wegen solcher Beschreibungem im privaten Tinder-Profil dürften also derzeit (hoffentlich, liebe konservative Rechtsprechung) nicht möglich sein. 

Etwas anderes gilt im Übrigen für Äußerungen im Internet (mithin auch auf dem Tinder-Profil), die etwa den Chef beleidigen oder darauf schließen lassen, dass das Internet privat während der Arbeitszeit genutzt wird. Über eine Beschreibung, die etwa lautet: "Trotz Scheiß Job bei Firma XY jeden Tag 24h available" sollten sich also auch reguläre Arbeitnehmer schon jetzt Gedanken machen.