Kein Entzug des Pflichtteils trotz Körperverletzung

Die Grenzen der Enterbung

Veröffentlicht am: 13.09.2021
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Die Grenzen der Enterbung

Ein Beitrag von Meltem Kolper-Deveci, Fachanwältin für Familienrecht und Rechtsanwältin für Erbrecht in München

„Ich enterbe dich!“ Das klingt bedeutungsvoll, doch in Deutschland sind die Folgen für den Enterbten finanziell häufig überschaubar. Schließlich kann der Enterbte Pflichtteilsansprüche geltend machen. Wie hoch die Hürden für einen Pflichtteilentzug sind, geht aus einem aktuellen Urteil des Landgerichts (LG) Frankenthal hervor.

Entziehung des Pflichtteils unterliegt hohen Anforderungen

Um einem gesetzlichen Erben den Pflichtteil wirksam entziehen zu können, müssen Erblasser sowohl formal als auch inhaltlich hohe Hürden überwinden. Insbesondere kann eine körperliche Auseinandersetzung nur dann dazu führen, dass der Pflichtteilsanspruch entfällt, wenn es sich um ein schweres Vergehen gegen den Erblasser gehandelt hat. Sei eine Körperverletzung im Affekt erfolgt, rechtfertige dies nach Auffassung des LG nicht zwingend eine Pflichtteilsentziehung.

Mutter mehrfach geschlagen - Eltern entziehen Pflichtteil

Im vorliegenden Fall war ein Mann 1997 von seinen Eltern in einem notariell beglaubigten Erbvertrag enterbt worden. Zusätzlich hatte die Eltern angeordnet, dass ihrem Sohn auch der Pflichtteil entzogen werden soll. Diese Maßnahme begründeten sie damit, dass der Mann seine Mutter ein Jahr zuvor mehrfach geschlagen habe. Von der Auseinandersetzung habe die Frau damals auch eine Schädelprellung davongetragen. Anstatt des Sohnes wurde eine soziale Einrichtung aus dem Rhein-Main-Gebiet als Erbin eingesetzt. Nach dem Tod der Frau ging das Erbe auch planmäßig auf die soziale Einrichtung über. Doch der Sohn wehrte sich dagegen, beim Testament seiner Mutter übergangen worden zu sein, forderte zumindest den Pflichtteil ein und klagte gegen die als Erbin eingesetzte soziale Einrichtung.

Erfolgreiche Klage des enterbten Kindes

Nach Ansicht der Kammer war die Entziehung des Pflichtteils im Erbvertrag bereits aus formalen Gründen unwirksam. Um zu verhindern, dass nachträglich weitere Gründe nachgeschoben werden, müsse das maßgebliche Fehlverhalten des Erben bereits im Testament eindeutig geschildert sein. Hier sei aber gerade nicht festgehalten worden, welche Hintergründe zu der Auseinandersetzung geführt und welche Folgen dies gehabt habe.

Nicht jede Körperverletzung rechtfertigt Pflichtteilsentziehung

Da der Streit im Gerichtsverfahren zudem nicht aufgeklärt werden konnte, bleibe denkbar, dass sich die Körperverletzung bei einem spontanen Streit oder im Affekt zugetragen habe. Dies rechtfertige nicht zwingend eine Pflichtteilsentziehung. Denn nur ein schweres Vergehen gegen den Erblasser könne zum Verlust des Pflichtteils führen. Ein solches schweres Vergehen gegen die Mutter hätte der bedachte Verein aber nachweisen müssen.

Gericht vermutet anderen Hauptgrund für Pflichtteilentziehung

Es sei zudem zu vermuten, dass der angebliche Vorfall aus 1996 nicht der Hauptgrund für die Pflichtteilentziehung gewesen sei. Es sei, so das LG, eher davon auszugehen, dass die Eltern mit dem Lebenswandel ihres Sohnes nicht mehr einverstanden gewesen seien. Dies rechtfertige es jedoch nicht, dem Sohn seinen verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Erbes zu entziehen. Deswegen müsse die anstelle des Klägers bedachte soziale Einrichtung ihm nun seinen 50%-igen Pflichtteil auszahlen und auch die Verfahrenskosten tragen.

Wenn in einem Testament eine Pflichtteilsentziehung geregelt werden soll, ist daher besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass der Grund der Entziehung ausführlich und konkret geschildert wird.