Nachlassverzeichnis trotz Pflichtteilsstrafklausel

Forderung von Auskunft und Wertermittlung ist noch keine Geltendmachung des Pflichtteils

Ein Kind verliert seine Stellung als Schlusserbe aber in der Regel nicht bereits dadurch, wenn es beim ersten Erbfall ein Nachlassverzeichnis und sogar die Ermittlung der Werte des Nachlasses fordert. Dies entschied kürzlich das Oberlandesgericht Frankfurt.

Veröffentlicht am: 05.04.2022
Qualifikation: Rechtsanwältin für Erbrecht in Hamburg
Lesedauer:

Wenn Eltern zur Regelung des Pflichtteils im Berliner Testament eine Pflichtteilsstrafklausel errichtet haben, müssen Kinder beim Tod des Erstversterbenden entscheiden, ob sie ihren Pflichtteil geltend machen oder hierauf verzichten und dafür nach dem Tod des letztversterbenden Elternteils Erbe werden.

Ein Kind verliert seine Stellung als Schlusserbe aber in der Regel nicht bereits dadurch, wenn es beim ersten Erbfall ein Nachlassverzeichnis und sogar die Ermittlung der Werte des Nachlasses fordert. Dies entschied kürzlich das Oberlandesgericht Frankfurt.

Auskunft und Wertermittlung trotz Pflichtteilsstrafklausel gefordert

Dem aktuellen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 01.02.2022 (OLG Frankfurt 21 W 182/21) lag ein Erbscheinsverfahren zugrunde.

Das Ehepaar mit vier Kindern hatte zu Lebzeiten ein klassisches Berliner Testament errichtet, das heißt sie hatten sich gegenseitig zu ihren alleinigen Erben und ihre vier gemeinsamen Kinder als Schlusserben nach dem letztversterbenden Ehegatten eingesetzt. Enthalten im Testament war darüber hinaus eine sogenannte Pflichtteilsstrafklausel, welche häufig in Berliner Testamenten aufgenommen wird. Diese enthielt die Bestimmung, dass derjenige, der bereits nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil fordert, auch nach dem zweiten Erbfall nur den Pflichtteil bekommen solle, also nicht Schlusserbe werden soll.  

Keines der vier Kinder machte nach dem Tod des erstversterbenden Vaters seinen Pflichtteil geltend. Eine Tochter forderte von der alleinerbenden Mutter allerdings zunächst, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen, anschließend noch einmal eine Korrektur desselben und zudem ein kostspieliges Sachverständigengutachten, um den Wert einer im Nachlass vorhandenen Immobilie feststellen zu lassen. Sie wollte wohl offenbar prüfen, ob sich trotz der im Testament enthaltenen Strafklausel die Geltendmachung ihres Pflichtteils nach dem Tod ihres Vaters lohne. Pflichtteilsberechtigte haben nämlich gegen den Erben einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses und auf Ermittlung der Werte, bevor sie ihre Pflichtteilsforderung geltend machen. Nach Erhalt des Nachlassverzeichnisses entschied sie sich dann aber dagegen, einen Pflichtteil von ihrer Mutter einzufordern.  

Erbschein sollte nur für 3 Geschwister ausgestellt werden

Nachdem auch die Mutter einige Zeit später verstorben war, beantragte eines der Kinder einen gemeinschaftlichen Erbschein  für sich und für weitere zwei ihrer Geschwister. Nach dem Erbscheinsantrag unberücksichtigt sollte bleiben die Schwester, die nach dem Tod des Vaters ein Nachlassverzeichnis und ein Sachverständigengutachten gefordert hatte.  Die Geschwister waren der Ansicht, dass die Schwester die Pflichtteilsstrafklausel durch die Forderung des Nachlassverzeichnisses und des Sachverständigengutachtens bereits ausgelöst habe.  

Die im Erbschein nicht berücksichtigte Tochter legte gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts Rechtsmittel ein. Das OLG Frankfurt gab ihr Recht: Sie habe durch die bloße Geltendmachung ihres Auskunfts- und Wertermittlungsanspruchs nicht bereits ihre Stellung als Erbin verloren. Der Erbschein war daher auf alle vier Kinder der Erblasserin auszustellen. Das Oberlandesgericht machte deutlich, dass ein Pflichtteilsberechtigter auf die Auskunft angewiesen sei, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen, ob er den Pflichtteil fordern soll. Unerheblich sei, dass die Pflichtteilsberechtigte mit ihrem Auskunfts- und Wertermittlungsverlangen bereits Kosten verursacht habe, die dem Nachlass zu Last gefallen waren.

Genaue Formulierung im Berliner Testament erforderlich 

Die Pflichtteilsstrafklausel wird in Berliner Testamenten häufig gewählt, um die wirtschaftliche Position des länger lebenden Ehegatten zu schützen; sie soll verhindern, dass der Erbe zur Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs oder zu sonstigen Belastungen gezwungen wird. Denn sofern seine Kinder von ihm nach dem Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen, muss dieser sich möglicherweise verschulden oder sogar die Familienimmobilie veräußern, wenn im Nachlass nicht ausreichend Barvermögen vorhanden ist.

Wenn Erblasser auch verhindern möchten, dass ein Kind nach dem Tod der Erstversterbenden ein Nachlassverzeichnis und womöglich ein den Nachlass belastendes teures Sachverständigengutachten fordert, sollte dies von den Erblassern im Testament gleich festgelegt werden.

Es kommt am Ende daher auf die genaue Formulierung an. In dem vom Oberlandesgericht Frankfurt zu entscheidenden Fall setzte die Pflichtteilsstrafklausel das „Geltend machen des Pflichtteils“ für den Verlust der Schlusserbenstellung nach dem Letztversterbenden voraus. Erblasser können aber in Ihrem Testament genauso gut formulieren, dass ein Ankömmling beim zweiten Erbfall von der Erbfolge ausgeschlossen wird, sofern dieser vom Alleinerben Auskunft und/oder Wertermittlung fordert. Eine solche Formulierung kann sich insbesondere dann anbieten, wenn Erblasser nicht nur die finanzielle Situation des überlebenden Ehepartners sichern, sondern darüber hinaus auch jegliche Erbstreitigkeiten innerhalb der Familie verhindern möchten. Denn wenn bereits die Geltendmachung des Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch zur Vorbereitung von Pflichtteilsansprüchen die Pflichtteilsstrafklausel auslöst, werden Kinder noch eher davon Abstand nehmen, überhaupt die Geltendmachung des Pflichtteils in Betracht zu ziehen.