Pflichtteilsberechnung mit notariellem Nachlassverzeichnis

Rechtsprechung stärkt das Auskunftsrecht Enterbter

Wenn ein Pflichtteilsberechtigter von dem Erblasser durch Testament enterbt wird, stehen ihm Pflichtteilsansprüche gegen die Erben in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils zu.

Veröffentlicht am: 12.07.2021
Qualifikation: Rechtsanwältin für Erbrecht in Hamburg
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Um diesen Anspruch geltend zu machen, hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch darauf, dass der Erbe ihm Auskunft über den Bestand des Nachlasses mittels eines Nachlassverzeichnisses erteilt.  Er kann auch verlangen, dass dieses Nachlassverzeichnis durch einen Notar erstellt wird. Die Erben können in einem solchen Fall regelmäßig in Versuchung kommen, Vermögenswerte teilweise zu verschleiern, um den Anspruch des Pflichtteilberechtigten zu schmälern. Diese Missbrauchsmöglichkeit wird durch neue Entwicklungen in der Rechtsprechung erschwert.  

Sohn zugunsten der Ehefrau enterbt

Das OLG Celle hatte in seiner Entscheidung vom 29.10.2020 (OLG Celle 6 U 34/20) einen Fall zu entscheiden, in welchem ein Erblasser seine Ehefrau durch Testament zur alleinigen Erbin eingesetzt hatte, sodass dem einzigen Sohn nach seinem Tod nur noch der Pflichtteilsanspruch zustand. Um diesen gegen die Ehefrau seines Vaters geltend zu machen, hatte der Sohn diese zunächst außergerichtlich aufgefordert, durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses Auskunft über den Nachlass zu geben. Obwohl die Ehefrau dieser Aufforderung nachgekommen war, erhob der Sohn anschließend Klage gegen die Ehefrau auf Vorlage eines korrekten notariellen Nachlassverzeichnisses mit der Begründung, dass der Notar bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses nicht die gesetzlichen Anforderungen erfüllt hat. Das OLG Celle gab dem Sohn Recht und verurteilte die Ehefrau des Erblassers zur Vorlage eines neuen notariellen Nachlassverzeichnisses.

Notar als eigenständiger Ermittler

Das OLG Celle hat seine Entscheidung dabei an die hierzu gefestigte BGH-Rechtsprechung angelehnt.

Demnach ist ein Notar bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses verpflichtet, den Nachlass eigenständig zu ermitteln. Er darf zwar zunächst von den freiwilligen Angaben des Erben ausgehen, darf sich auf diese Angaben aber nicht beschränken. Vielmehr hat der Notar diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Pflichtteilsberechtigten für erforderlich halten würde.

Dieser Pflicht zur eigenständigen Ermittlung war der Notar nach Ansicht des OLG im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen. Der Notar hätte sich im konkreten Fall zum Beispiel nicht auf die Angaben der Erbin verlassen dürfen, dass sich in dem vorhandenen Bankschließfach keine Vermögenswerte befinden – er hätte selbst nachsehen müssen. Auch hätte er bei der Bank nachfragen müssen, ob der Erbe bei dieser möglicherweise weitere Konten geführt hatte. Der Notar hätte sich zudem nicht damit zufriedengeben dürfen, dass nach Aussage der Erbin keine Steuerrückzahlungen zu erwarten sind – auch dies hätte er selbst beim Finanzamt erfragen müssen.

Genaue Berechnung des Pflichtteils muss ermöglicht werden

Das OLG hat zudem deutlich gemacht, dass der Notar durch sein Nachlassverzeichnis die genaue Berechnung des Pflichtteils ermöglichen muss. Es bemängelte nämlich unter anderem, dass der Notar die vorhandenen Kunstgegenstände und den vorhandenen Schmuck nicht so beschrieben hatte, dass darauf aufbauend eine Wertschätzung möglich geworden war. Für den Goldschmuck hätte er hierfür den Goldgehalt in das Verzeichnis aufnehmen müssen. Auch ermöglichte der Notar nach Ansicht des OLG die genaue Berechnung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht, indem er vom Erblasser vorgenommene Schenkungen durch Angabe einer Gesamtsumme und eines Zeitraumes zusammenfasste. Für die genaue Berechnung hätte er vielmehr jede Schenkung einzeln mit dem jeweiligen Wert und dem jeweiligen Datum aufführen müssen.

Pflichten des Notars jedoch einzelfallabhängig

In einer weiteren Entscheidung vom 25.03.2021 (6 U 74/20) stellte das OLG Celle allerdings klar, dass die Anforderungen an den Notar stets einzelfallabhängig sind. Hier hatte das OLG über einen Fall zu entscheiden, in welchem die Erblasserin eines ihrer beiden Kinder als Alleinerben eingesetzt hatte. Die pflichtteilsberechtigte Tochter machte daraufhin gegen ihren Bruder, den Alleinerben, den Auskunftsanspruch durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses geltend. Hier stellte das OLG ebenfalls fest, dass der Notar seinen Pflichten deshalb nicht nachgekommen war, weil er bei der Bank nicht nachfragte, ob die Erblasserin bei dieser noch weitere Konten geführt hatte. Es ließ hier aber offen, ob der Notar auch verpflichtet gewesen wäre, alle Kontoauszüge darauf zu überprüfen, ob sich aus diesen möglicherweise Hinweise auf ausgleichspflichtige Schenkungen ergeben.

Das OLG betonte dabei, dass die Pflichten des Notars stets einzelfallabhängig seien und stellte als Faustregel auf, dass die Pflichten des Notars umso weiter reichen, je konkreter die Hinweise des Pflichtteilsberechtigten auf pflichtteilsrelevante Vorgänge sind und je mehr solche Hinweise sich aus Unterlagen oder sonst dem Notar bekannten Umständen ergeben.

Missbrauchsrisiko deutlich minimiert

Die aktuelle Rechtsprechung stellt damit hohe Anforderungen auf, die der Notar bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses berücksichtigen muss. Hiervon profitiert der Pflichtteilsberechtigte, der zur Geltendmachung seines Anspruchs auf vollständige und konkrete Angaben im Nachlassverzeichnis angewiesen ist.

Der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten kann entweder dadurch in Gefahr sein, weil der Erbe bewusst dem Notar Vermögenswerte verschleiert, um den Pflichtanspruch möglichst gering ausfallen zu lassen. Auf der anderen Seite können auch deshalb Vermögenswerte außer Betracht bleiben, weil der zuständige Notar bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses nachlässig agiert.

Der Erbe riskiert dann aber eine Auskunftsklage gegen sich, welche gegebenenfalls hohe Prozesskosten mit sich bringt. Der Notar riskiert, seinen Anspruch auf Gebühren zu verlieren oder sogar durch den Erben in Regress genommen zu werden. Im Ergebnis werden daher beide Beteiligte veranlasst, auf ein vollständiges und korrektes Nachlassverzeichnis hinzuwirken.

Damit dämmt die Rechtsprechung das Risiko deutlich ein, dass der Pflichtteilsberechtigte um seinen rechtmäßigen Anspruch gebracht wird.