Erneute Einziehung nach fehlgeschlagenem Einziehungsversuch

Fragen zur negativen Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

Veröffentlicht am: 30.12.2020
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Fragen zur negativen Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Christian Westermann, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und für Arbeitsrecht

In GmbH-Gesellschafterstreitigkeiten ist es in der Regel das Ziel des den Ausschluss eines Mitgesellschafters betreibenden Gesellschafters, durch die Einreichung einer neuen Gesellschafterliste vollendete Tatsachen zu schaffen und den „störenden“ Gesellschafter faktisch, zumindest für die Dauer eines regelmäßig langwierigen Beschlussanfechtungsprozesses von der Ausübung seiner Gesellschafterrechte auszuschließen. Oft kommt es geradezu zu einem Wettlauf zwischen der Einreichung einer neuen Gesellschafterliste seitens der Gesellschaft und möglichen rechtlichen Schritten des Gesellschafters per Einstweiliger Verfügung.

Aber wie lange sollte die Gesellschaft eigentlich mit der Einreichung einer neuen Gesellschafterliste warten und wie ist damit umzugehen, wenn der Gesellschafter möglicherweise mit Erfolg gegen den Verlust seiner Gesellschafterstellung vorgehen kann? Kann die Gesellschaft bei Vorliegen eines Einziehungsgrundes, quasi vorsorglich, eine erneute Einziehung des Geschäftsanteils beschließen, obwohl der Gesellschafter infolge der ersten Einziehung bereits nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragen ist?

Einen solchen Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 10.11.2020 (Az. II ZR 211/19 zu entscheiden gehabt.

Mehrfache (vorsorgliche) Einziehungsbeschlüsse

Der Sachverhalt kurz zusammengefasst: Im April 2015 und nochmals im August 2016 beschloss die Gesellschafterversammlung der später beklagten GmbH die Einziehung des Geschäftsanteils des späteren Klägers. Bereits im Juni 2015 wurde eine neue Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht, wonach der Geschäftsanteil des Klägers als „nach Einziehung erloschen“ gekennzeichnet war.

Der Kläger ging gegen diese Einziehungsbeschlüsse im Ergebnis erfolgreich gerichtlich vor. Die Nichtigkeit dieser Beschlüsse wurde rechtskräftig durch Berufungsurteil vom Juni 2019 festgestellt.

Während des laufenden Anfechtungsprozesses kam es im Oktober 2017 zu einer weiteren Gesellschafterversammlung, in der nochmals die Einziehung des (gemäß Gesellschafterliste gar nicht mehr bestehenden) Geschäftsanteils des Klägers beschlossen wurde, dieses Mal wegen einer Pfändung des Geschäftsanteils. Zu dieser Gesellschafterversammlung war der Kläger vorsorglich eingeladen worden. Auf die weitere Beschlussanfechtungsklage des Klägers hin haben die ersten beiden Instanzen auch den Einziehungsbeschluss vom Oktober 2017 für nichtig erklärt. Der BGH hat diese Urteile aufgehoben.

Einziehung nur gegenüber einem Listengesellschafter möglich?

Hauptstreitfrage war hier, ob der Geschäftsanteil des Klägers, der ausweislich der aktuellen Gesellschafterliste gar nicht mehr existierte, nochmals eingezogen werden konnte oder ob dieser Beschluss ins Leere ging und die Gesellschaft möglicherweise zunächst eine neue Gesellschafterliste zum Handelsregister hätte einreichen müssen, in welcher der Kläger wieder als Inhaber des Geschäftsanteils aufgeführt war.

Der BGH hat hierzu klare Abgrenzungen zwischen der Frage der formellen Gesellschafterstellung gemäß Gesellschafterliste und der Frage, ob ein Gesellschafter materiell-rechtlich noch Inhaber eines Geschäftsanteils ist, gezogen. Im Ergebnis hat der BGH entschieden, dass die sogenannte negative Legitimationswirkung der Gesellschafterliste kein Hindernis für eine erneute Einziehung des Geschäftsanteils darstellt. Insbesondere in dem Fall, dass ein gewisses Risiko besteht, dass eine frühere Einziehung für nichtig erklärt werden könnte, sei die Gesellschafterversammlung nicht daran gehindert, quasi vorsorglich nochmals die Einziehung des Geschäftsanteils zu beschließen, um Zweifel an der Wirksamkeit der ersten Einziehungsbeschluss auszuräumen.

Nach dem BGH war es insbesondere nicht erforderlich, dass die Gesellschaft vor der erneuten Einziehung eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen musste, in welcher der materiell noch berechtigte Gesellschafter (wieder) als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils eingetragen war. Die Eintragung in der Gesellschafterliste ist lediglich ausschlaggebend dafür, ob ein Gesellschafter gegenüber der GmbH Mitgliedschaftsrechte geltend machen kann, wofür es dann nicht darauf ankommt, ob der Gesellschafter auch materiell-rechtlich Inhaber des Geschäftsanteils ist. Die Eintragung in der Gesellschafterliste hat keine Auswirkung auf die materiell-rechtliche Frage des Bestehens eines GmbH-Geschäftsanteils.

Der BGH hat weiter ausgeführt, dass es in Fällen, in denen Streit über die Wirksamkeit einer Anteilseinziehung besteht, zu einer Entkoppelung zwischen formaler und materieller Gesellschafterstellung kommen kann, so dass die materiell-rechtliche Gesellschafterstellung unabhängig von der Eintragung in der Gesellschafterliste besteht. In einem solchen Fall kann die Gesellschaft einen vorsorglichen erneuten Einziehungsbeschluss fassen, ohne dass sie den gelöschten Gesellschafter vorher wieder in die Gesellschafterliste aufnehmen muss. Mit der Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste würde die Gesellschaft sich nämlich in Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten setzen. Eine lediglich vorsorgliche Wiederaufnahme eines Gesellschafters in die Gesellschafterliste sei, anders als die vorsorgliche Annahme einer materiellen Gesellschafterstellung, zudem nicht möglich. Des Weiteren sei es der Gesellschaft auch nicht zumutbar, den materiell-rechtlich möglicherweise noch berechtigten Gesellschafter allein zum Zwecke der Fassung eines neuen Einziehungsbeschluss vorläufig wieder in die Gesellschafterliste aufzunehmen. Der Gesellschafter könnte dann nämlich durch Wiedererlangen auch der formalen Gesellschafterstellung seine Mitgliedschaftsrechte möglicherweise in schädlicher Form auszuüben. Der Schwebezustand bzw. die Rechtsunklarheit durch das Auseinanderfallen von formaler und materieller Gesellschafterstellung bestehe in jedem Fall und sei durch die nun vom BGH favorisierte Lösung am konsequentesten zu handhaben.

Schließlich stellt der BGH klar, dass der Zulässigkeit eines vorsorglichen erneuten Einziehungsbeschluss ohne Voreintragung des betroffenen Gesellschafters auch nicht entgegenstehe, dass die Gesellschaft durch eine (möglicherweise vorschnelle) Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste den Zustand der Rechtsunklarheit selbst verursacht habe. Die Rechte des materiell-rechtlichen Gesellschafters seien dadurch gewahrt worden, dass dieser wie ein Gesellschafter zu der Gesellschafterversammlung geladen worden war, in der die erneute Einziehung beschlossen wurde. Für die Anfechtungsbefugnis des nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafters komme es allein auf die materiell-rechtliche Berechtigung an.

Konsequenzen für die Praxis

Für die Praxis ist dies eine erfreuliche Klarstellung: Es bleibt im Gesellschafterstreit ein wichtiges Mittel für die den Ausschluss eines Gesellschafters betreibenden Mitgesellschafter, durch die möglichst schnelle Einreichung einer neuen Gesellschafterliste Klarheit hinsichtlich der formalen Gesellschafterrechte zu schaffen. Insbesondere bei einer unklaren materiellen Rechtslage, bei der eine Beschlussanfechtungsklage nicht von vornherein völlig aussichtslos erscheint, sollte der auszuschließende Gesellschafter materiell-rechtlich aber weiterhin (vorsorglich) wie ein Gesellschafter angesehen und z.B. zu Gesellschafterversammlungen weiterhin eingeladen werden.

Aus Sicht des auszuschließenden Gesellschafters bleibt es ein wichtiges Ziel, nach Möglichkeit schon den Verlust der formalen Gesellschafterstellung zu verhindern, indem z.B. mittels einer Einstweiligen Verfügung der Vollzug eines Einziehungsbeschlusses bzw. die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste untersagt werden.