Pflicht zu Insolvenzantrag erneut aussetzen?

Energiekrise vs. die Bedeutung des Insolvenzrechts

Zu Covid Zeiten schwang sich die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für betroffene Unternehmer hoch zum politischen Allheilmittel. Ist sie auch die Lösung für die aktuelle Energiekrise?

Veröffentlicht am: 21.09.2022
Qualifikation: Rechtsanwältin in Hamburg & Berlin
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Deutsche Unternehmen sind regelmäßig verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Die SPD fordert aktuell schon wieder die Aussetzung dieser Insolvenzantragspflicht - dieses Mal wegen der hohen Energiepreise und den damit einhergehenden “Schwierigkeiten” bei der Kalkulation für deutsche Unternehmen.

Trend: Beugung des Insolvenzrechts in der Krise 

Der Aufruf reiht sich ein in eine Periode des Widerstands gegen die Insolvenzantragspflicht: wegen COVID, wegen der Flut, wegen der Inflation, nun also wegen der Energiepreise soll die Pflicht ausgesetzt werden. Im vergangenen Jahr 2021 war deshalb die Zahl der Insolvenzen deutscher Unternehmen so niedrig wie noch nie seit Einführung der Insolvenzordnung. Die Folgen für dritte Unternehmen werden umso folgenreicher, je länger die Aussetzung dauert.

Doch ist das, was sich hier als Entlastung der deutschen Unternehmer verkleidet, nicht in Wirklichkeit eine große Gefahr für die inländische Wirtschaft?

Was besagt die Insolvenzantragspflicht?

Schon die erst jüngst erlebte Aufregung um Äußerungen von Wirtschaftsminister Robert Habeck hat gezeigt: in der Bevölkerung, aber auch unter Politikern herrscht oft Unklarheit über die genaue Regelungssystematik des Insolvenzrechts.

Nach den Regelungen der Insolvenzordnung besteht für Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften mit beschränkter Haftung die Pflicht, bei Insolvenzreife einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Diese Insolvenzreife liegt bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens vor. Der Antrag ist unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu stellen.

Für Personengesellschaften mit unbeschränkter persönlicher Haftung der Gesellschafter, etwa bei der GbR oder der oHG, besteht eine solche Insolvenzantragspflicht dagegen nicht. Denn hier schulden die Betroffenen die Begleichung offener Forderungen im Zweifel aus ihrem Privatvermögen - während bei der GmbH nach "Aufbrauch" der gesellschaftlichen Mittel keine Reservehaftung greift.

Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens

Dabei ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Was das genau bedeutet, hat die Rechtsprechung in diversen Urteilen in zeitlicher, quantitativer und qualitativer Hinsicht konkretisiert:

  1. In zeitlicher Hinsicht sollen nur vorübergehende Zahlungsstockungen von bis zu drei Wochen unbeachtlich sein.
  2. Quantitativ sollen geringfügige Unterdeckungen von bis zu 10% nicht relevant sein.
  3. Ferner sollen nur solche Forderungen berücksichtigt werden, die ernsthaft eingefordert werden.

Unter Berücksichtigung dieser weiteren Kriterien liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn das Unternehmen nicht in der Lage ist, die fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten innerhalb von drei Wochen soweit zurückzuführen, dass eine Deckungslücke von maximal 10% verbleibt.

Die drohende Zahlungsunfähigkeit hingegen begründet nur das Recht zur Stellung eines Insolvenzantrages.

Überschuldung entfällt bei positiver Fortführungsprognose

Von einer Überschuldung spricht man, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt.

Eine Überschuldung führt indes dann nicht zu einer Insolvenzantragspflicht, wenn das Unternehmen eine sog. positive Fortführungsprognose hat. Dafür muss die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich sein. Die hierbei erforderliche Prognose wird auf der Grundlage einer plausiblen Vermögens-, Ertrags- und Finanzplanung für den Zeitraum des laufenden und des nächsten Geschäftsjahres erstellt.

Insolvenzantrag des Unternehmens: Sinn und Zweck 

Aus der Haftungsprivilegierung für Kapitalgesellschaften im deutschen Gesellschaftsrecht im Gegensatz zu unbegrenzt haftbaren Personengesellschaften speist sich auch die Notwendigkeit der Insolvenzantragspflicht. In den aktuellen Überlegungen wird neben der genauen Ausgestaltung indes auch dieser Schutzzweck der Insolvenzantragspflicht leider nicht hinreichend berücksichtigt.

Hintergrund und Idee des Antrags ist schließlich vor allem, andere Unternehmen zu schützen. Vertragspartner eines in Schieflage geratenen Unternehmens, das zahlungsunfähig ist, sollen nicht beeinträchtigt werden und ggf. weitere Leistungen an das insolvente Unternehmen einstellen. So wird verhindert, dass andere Unternehmen aufgrund der Pleite eines Vertragspartners möglicherweise ihrerseits in finanzielle Not geraten.

Haftung & Rolle von Management und Geschäftsführung

Die Bedeutung der Insolvenzantragspflicht im Gesellschaftsrecht kann kaum unterschätzt werden. Um dieser Verpflichtung rechtlich besonderen Nachdruck zu verleihen, hat etwa das GmbH-Recht eine besondere Haftungsverantwortung für die Geschäftsführung in der Insolvenz geschaffen:

So trifft in der GmbH den Geschäftsführer persönlich die Pflicht, den Insolvenzantrag rechtzeitig zu stellen. Tut er dies nicht, kann er für den dadurch entstandenen Schaden persönlich haftbar sein. Der Geschäftsführer kann dabei auch von Gläubigern direkt in Anspruch genommen werden (Außenhaftung). Aufgrund zahlreicher Beweiserleichterungen für den Insolvenzverwalter handelt es sich dabei auch um ein äußerst scharfes Schwert. Unter Umständen droht sogar die strafrechtliche Verfolgung wegen Insolvenzverschleppung. Bei Vorsatz drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren.

Fazit: Unsicherheiten für Geschäftsführung

Dieses fein kalibrierte System, das für Unternehmensinsolvenzen mit viel Sachverstand geschaffen wurde, wird durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht signifikant beeinträchtigt. Ausnahmen vom geltenden Recht sind daher mit Vorsicht zu genießen - insbesondere, wenn die "Krise" mehrere Jahre dauert und man von einer Krise in die nächste jagt.

Das gilt umso mehr, als auch Unternehmen von der Aussetzung betroffen sind, die nicht etwa wegen der COVID-Auswirkungen oder der Energiekrise wirtschaftliche Schwierigkeiten haben - sondern wegen anderen, signifikanten Entwicklungen unserer Gesellschaft: der Krise des Einzelhandels, der aufgrund der Inflation abnehmenden Kaufkraft der Bevölkerung oder dem Fachkräftemangel.

Nicht zuletzt für Management & Geschäftsführer schaffen Ausnahmen auch immer Rechtsunsicherheiten und Haftungsgefahren. Wenn das geltende Recht für mehr als drei Jahre ausgesetzt wird, weil die Realität mit ihm nicht zu vereinbaren ist, sollte indes möglicherweise über eine dauerhafte Reform von Gesetz oder Realität nachgedacht werden - anstatt über die nächste Ausnahme.