Verschärfte Kartellrechts-Regelungen auch für Amazon

Erweiterte Missbrauchsaufsicht aufgrund überragender marktübergreifender Bedeutung

Das Bundeskartellamt hat entschieden, dass Amazon ein Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ ist. Damit unterfällt Amazon der erweiterten Missbrauchsaufsicht.

Veröffentlicht am: 03.08.2022
Qualifikation: Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz in Hamburg
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Das Bundeskartellamt entschied am 05.07.2022, dass die Firma Amazon.com Inc., Seattle, USA ein Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ ist. Damit unterfällt Amazon gemeinsam mit seinen Tochterunternehmen der erweiterten Missbrauchsaufsicht des § 19a GWB.

Neben Apple nun auch Amazon: der neue § 19a GWB stärkt das Bundeskartellamt

Die Vorschrift des § 19a GWB ist aufgrund einer Gesetzesänderung seit Januar 2021 in Kraft. Hiernach kann das Bundeskartellamt in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. Über die Einführung des § 19 a GWB und die Anwendung auch bei dem amerikanischen Unternehmensriesen Apple hatten wir bereits an anderer Stelle berichtet.

Die Entscheidung des Bundeskartellamtes ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben auf fünf Jahre befristet. Innerhalb dieses Zeitraumes unterliegt Amazon in Deutschland der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt nach § 19a Abs. 2 GWB.

Markstellung von Amazon

Nach Auffassung des Präsidenten des Bundeskartellamtes sei Amazon der zentrale Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce. Die Angebote des Konzerns u.a. als Händler, Marktplatz, Streaming- und Cloud-Anbieter seien bereits zu einem digitalen Ökosystem verbunden. Im Ergebnis entschied das Bundeskartellamt, dass der amerikanische Konzern auch im kartellrechtlichen Sinne ein Unternehmen von „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ im Sinne des § 19a GWB ist. Diese Einstufung durch das Bundeskartellamt führt dazu, dass mögliche wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen vom Kartellamt gezielt aufgegriffen und unterbunden werden können, und dies deutlich effektiver als das bisher der Fall war.

Amazon der Riese

Amazon erzielte weltweite Umsatzerlöse von ca. 400 Mrd. Euro im Jahr 2021, davon ca. 32 Mrd. Euro in Deutschland, und gehört damit zu den umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Nach Auffassung des Bundeskartellamtes wird mehr als jeder zweite Euro im deutschen Online-Einzelhandel auf Handelsplattform von Amazon ausgegeben. Neben der E-Commerce-Tätigkeit als Händler und Marktplatz gehören zu den Angeboten von Amazon an Endkunden auch digitale Inhalte (z.B. Filme, Serien oder Musik) im sog. Prime-Abonnement. Für Unternehmen und Dritthändler bietet Amazon neben den Marktplatzdienstleistungen weitere Dienstleistungen zum Beispiel im Bereich Logistik, Werbung und Zahlungsabwicklung an. Im Bereich des Cloud-Computing gilt Amazon mit Amazon Web Services (AWS) mittlerweile als führend und erzielt dadurch einen Großteil seiner Konzerngewinne (so ca. 56 Prozent des Jahresüberschusses in 2021).

Ökosystem in Deutschland

Die vom Bundeskartellamt angenommene überragende marktübergreifende Bedeutung Amazons für den Wettbewerb im Sinne des § 19a Abs. 1 GWB verschafft dem Unternehmen eine Machtposition, die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet.

So hat Amazon eine zentrale strategische Position im deutschen Online-Einzelhandel. Bei Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler in Deutschland verfügt Amazon über einen umsatzbezogenen Marktanteil von über 70 Prozent und verfügt damit nach Meinung des Bundeskartellamtes über eine marktbeherrschende Stellung. Die enorme Bedeutung der Handelsplattform werde durch die eigene Einzelhandelstätigkeit auf der Plattform sogar noch verstärkt (sog. „Hybridstruktur“). Damit einher gingen erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit und den Geschäftserfolg anderer Unternehmen. Das breite Portfolio an Geschäftstätigkeiten hat Amazon zu einem stark integrierten digitalen Ökosystem ausgebaut, das dazu führt, die Nutzer im geschaffenen Ökosystem zu halten. Hierbei spielt das Prime-Abonnement, mit dem Endkunden neben einer versandkostenfreien Lieferung vielfältige weitere Dienstleistungen angeboten werden, eine besondere Rolle. Weltweit verfügen mehr als 200 Mio. registrierte Nutzer über ein kostenpflichtiges Prime-Abonnement von Amazon.

Weitere Verfahren gegen Amazon und andere große Digitalkonzerne

Das Bundeskartellamt führt gegen Amazon aktuell zwei weitere Kartell-Verfahren nach den bisherigen „alten“ Regelungen der klassischen Missbrauchsaufsicht. In einem Verfahren untersucht das Bundeskartellamt, inwieweit Amazon durch Preiskontrollmechanismen bzw. Algorithmen Einfluss auf die Preissetzung der auf dem Amazon-Marktplatz tätigen Händler nimmt. In einem zweiten Verfahren prüft das Bundeskartellamt inwieweit Vereinbarungen zwischen Amazon und Markenherstellern, u.a. Apple, die Dritthändler vom Verkauf von Markenprodukten auf dem Amazon Marktplatz ausschließen, einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln darstellen.

Das Bundeskartellamt nahm zuvor eine überragende marktübergreifende Bedeutung bereits auch bei den Digital-Riesen Alphabet/Google und bei Meta/Facebook rechtskräftig an (siehe Pressemitteilungen vom 5. Januar 2022 bzw. vom 4. Mai 2022). Auf Basis der neuen Vorschriften laufen hier bereits Kartellverfahren, die sich gegen konkrete Verhaltensweisen richten, so gegen Google/Alphabet (siehe Pressemitteilungen vom 21. Juni 2022, vom 4. Juni.2021 bzw. 12. Januar 2022 und 25. Mai 2021), Meta/Facebook (siehe Pressemitteilung vom 28. Januar 2021) und Apple (siehe Pressemitteilung vom 14. Juni 2022).

Somit werden die Verhaltensweisen der großen Digitalkonzerne effektiv und zielgerichteter auf vorliegende Kartellverstöße untersucht. Ergebnisse bleiben abzuwarten.