Folgenschweres Urteil zur Scheinselbstständigkeit

Finanzberater der Deutschen Bank scheinselbstständig!

Das Sozialgericht Frankfurt hat dem Finanzberater-Modell der Deutschen Bank eine herbe Abfuhr erteilt. In dem Urteil wird ein Finanzberater der Bank, der offiziell als Selbstständiger arbeitete, als Arbeitnehmer eingestuft. Die folgen für die Praxis sind weitreichend — hier das Urteil im Überblick.

Veröffentlicht am: 29.06.2021
Qualifikation: Rechtsanwältin in Hamburg und Berlin
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Praxis: Finanzberater als Handelsvertreter

Die alteingesessene Praxis der Deutschen Bank, selbstständig tätige Finanzberater in ganz Deutschland zu beauftragen, ist gerade im Privatkundengeschäft für die Bank von großem Vorteil. Rund 1300 selbstständige Finanzberater arbeiten mit der Deutschen Bank zusammen. Sie sind offiziell als Handelsvertreter tätig und verdienen nur dann Geld, wenn Sie Geschäfte abschließen.

Für die Deutsche Bank is dieses Modell besonders günstig: Provisionen fließen nur bei Vertragsabschluss, und die teuren Nebenkosten, die für Arbeitnehmer sonst anfallen, spart man sich gleich mit.

Urteil: Deutsche Bank will Berufung einlegen

Jedenfalls für einen dieser Finanzberater hat das Sozialgericht Frankfurt in einem nun veröffentlichten Urteil (Urteil vom 08.03.2021, Az. S 18 BA 93/17) allerdings die Selbstständigkeit verneint und ihn als Arbeitnehmer eingestuft — mit allen kostspieligen Pflichten, die so dazugehören.

Zwar will die Deutsche Bank gegen das Urteil in Berufung gehen. Sollte es aber in der nächsten Instanz bestätigt werden, wären die Folgen für die Branche der Finanzberater, aber auch vergleichbare Modelle enorm.

Scheinselbstständigkeit: Kriterien und Folgen

Die Frage nach der Scheinselbstständigkeit beschäftigt immer wieder große Konzerne ebenso wie junge Startups. Ob jemand selbstständig oder angestellt tätig ist, beurteilt sich anhand einer Reihe von Kriterien und muss in jedem Einzelfall gesondert geprüft werden.

Dabei geht es im Großen und Ganzen stets um das Maß an Freiheit, das der jeweilige Beschäftigte hat. Darf er selbst entscheiden, ob und wann er arbeitet, was er genau macht, von wo und mit welchen Geräten er tätig wird und wann er Urlaub nimmt? Dabei spielt das Kriterium der sog. Weisungsgebundenheit eine besondere Rolle. Aber auch wann er Urlaub nimmt oder wie er bezahlt wird fließt in die Abwägung mit ein.

Wird jemand als scheinselbstständig eingestuft, ändert sich nicht nur die rechtliche Betrachtung des Beschäftigungsverhältnisses mit allen damit einhergehenden Rechten und Pflichten. Insbesondere wird dies für die Beteiligten oft finanziell belastend.

Nähere Informationen zur Scheinselbstständigkeit und alle wichtigen Kriterien finden Sie auf unserer Unterseite zum Thema: Scheinselbstständigkeit

Hierarchie und Weisungsgebundenheit entscheidend

Die Richter des Sozialgerichts Frankfurt machten die Qualifizierung als Arbeitnehmer in ihrem Urteil an der Eingliederung des Beraters in den Betrieb fest. Unter einem, bei der Deutschen Bank angestellten, Regionalleiter gibt es einen formal selbstständigen Gebietsleiter, darunter formal selbstständige Leiter der Finanzagenturen und darunter ebenfalls selbstständige Finanzberater.

In der Praxis müssen die unteren Hierarchien an die oberen Leiter Berichte über die Geschäftsentwicklung und deren Ursachen abgeben und erhalten anders herum Vorgaben, die nach unten weitergegeben werde. Diese Hierarchie, so die Richter, spreche für eine Weisungsgebundenheit, die schließlich die Arbeitnehmer-Eigenschaft begründe.

Auch hätten sich die Finanzberater einen eigenen Standort außerhalb der Finanzagentur genehmigen lassen müssen — inklusive der Ausstattung und der Ausgestaltung der Räumlichkeiten. Dies spreche entschieden für eine Unfreiheit der Berater.

Arbeitsgerichte vs. Sozialgerichte — was gilt?

Für die richtige Einordnung des Urteils müssen zwei verschiedene Aspekte der Thematik unterschieden werden:

Arbeitsrechtlich kann die Scheinselbstständigkeit zu einer Qualifizierung des Betroffenen als Arbeitnehmer führen — inklusive Kündigungsschutz und den sonstigen gesetzlichen Schutznormen für Arbeitnehmer. Die Arbeitsgerichte haben die dem Finanzberater-Modell ähnliche Konstellationen aber bisher nicht beanstandet.

Sozialversicherungsrechtlich führt die Qualifizierung als Scheinselbstständiger zur Pflicht zur rückwirkenden Nachzahlung der Beiträge. Bei Unsicherheit über das Verhältnis können die Betroffenen ein sog. Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung anstrengen. Die hatte auch in diesem Fall eine Selbstständigkeit verneint.

Dass Sozialgerichte in der Sache entscheiden, geschieht indes nicht häufig. Vorliegend hatte die Deutsche Bank gegen die Feststellung der Deutschen Rentenversicherung vor dem Sozialgericht geklagt.

Ob und wie das äußerst brisante Urteil also Wellen auch in der arbeitsgerichtlichen Welt schlagen wird, bleibt abzuwarten. Hält es in der Berufungsinstanz Stand, dürfte aber einerseits von den Übrigen Finanzberatern der Deutschen Bank, sowie anderer in Deutschland tätigen Banken und/oder sogar von Handelsvertretern anderer Branchen eine Klagewelle zu erwarten sein. Und auch die Sozialversicherungskassen könnten mit einer großen Nachforderung ihre Beutel füllen wollen.