Das französische Pflichtteilsrecht im internationalen Erbfall

Neues Gesetz mit grenzüberschreitenden Auswirkungen

Ein neues Gesetz in Frankreich hat Auswirkungen auf den Pflichtteil in internationalen Erbfällen.

Veröffentlicht am: 08.06.2022
Qualifikation: Rechtsanwältin für französisches Erbrecht in Berlin
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Seit August 2015 gilt die Europäische Erbrechtsverordnung mit dem Ziel, eine einheitliche Regelung für internationale Erbschaften zu erreichen.

Die Verordnung legt insbesondere fest, dass das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts eines Verstorbenen für den gesamten Nachlass ausschlaggebend ist und das anzuwendende Erbrecht bestimmt. Stirbt ein in Frankreich lebender deutscher Staatsangehöriger und hatte dieser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich, so findet das französische Erbrecht auf sein gesamten Nachlass Anwendung, und zwar unabhängig davon, ob das Vermögen in Frankreich, Deutschland oder zum Beispiel Spanien liegt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht allerdings, wenn der Verstorbene in einer letztwilligen Verfügung eine Rechtswahl getroffen und sein Heimatrecht, also das Recht seiner Staatsangehörigkeit gewählt hat. In diesem Fall findet das vom Verstorbenen gewählte Recht auf den gesamten Nachlass Anwendung.

Nun hat Frankreich aber im August 2021 ein Gesetz verabschiedet, welches dem französischen Pflichtteilsrecht und genauer gesagt dem französischen Pflichtteil – der sogenannten „réserve héréditaire“ eine besondere Geltung in internationalen Nachlässen mit Berührung zu Frankreich verschaffen soll. Mit Art. 24 dieses Gesetzes wurden zwei neue Bestimmungen im französischen Code Civil (dem französischen Zivilgesetz) geschaffen, die für Nachlässe ab dem 1. November 2021 gelten sollen.

Was regelt das neue Recht zum französischen Pflichtteil?

Zunächst gilt zu klären, was die französische „réserve héréditaire“ ist und welche Auswirkungen sie auf einen Nachlass hat: Die sogenannte « réserve héréditaire » ist der Teil des Vermögens eines Erblassers, welches grundsätzlich für seine Kinder reserviert ist. Über diesen Teil seines Vermögens darf der Erblasser nicht frei verfügen. Die sogenannte „quotité disponible“ wiederum, ist der Teil des Nachlassvermögens welcher frei verteilt werden darf.

Welche Höhe diese „quotité disponible“ hat, hängt von der Anzahl der Kinder des Erblassers ab. Während bei einem Kind der Erblasser über die Hälfte seines Vermögens frei verfügen kann, sind es bei zwei Kindern nur noch ein Drittel und ab drei Kindern nur noch ein Viertel. Ohne Kinder steht wiederum dem überlebenden Ehegatten eine „réserve“ zu.

Gilt die „réserve héréditaire“ nun trotz internationalem Kontext und anderem Erbrecht?

Das französische Gesetz hat französischen Pflichtteilsberechtigten, deren Pflichtteilsrecht aufgrund der Anwendung eines fremden Erbrechts beeinträchtigt ist, trotz einheitlicher europäischer Regelung die Möglichkeit eröffnet, den ihrer „réserve“ entsprechenden Anteil vom in Frankreich befindliche Nachlassvermögen als Ausgleich entnehmen zu lassen.

Voraussetzung für einen solchen Ausgleich anhand des französischen Vermögens ist, dass

  • der Erblasser oder zumindest eines seiner Abkömmlinge ist Bürger der europäischen Union oder hat dort seinen ständigen Aufenthalt und
  • dass das auf den Nachlass aufgrund der Bestimmungen der europäischen Erbrechtsverordnung anwendbare Recht keine pflichtteilsähnlichen Bestimmungen für Kinder enthält.

Wesentlich für die Anwendung dieser Bestimmungen ist schließlich auch, dass der Erblasser Vermögen in Frankreich hatte, ob beweglich oder unbeweglich, welches einen solchen Ausgleich zulässt.

Wie wird der Ausgleich über das französische Vermögen erreicht?

Dieser französische Schutzmechanismus, der sich schließlich über das europäische Recht hinwegsetzt, kann nicht „einfach so“ greifen.

Da die neuen gesetzlichen Bestimmungen das auf den Nachlass anwendbare Recht teilweise aushebeln, kann dieser Ausgleichsmechanismus nur auf der Basis des sogenannten „ordre public“ der europäische Erbrechtsverordnung begründet werden. Dies setzt voraus, dass ein französisches Gericht, welches aufgrund der europäischen Erbrechtsverordnung zuständig ist, die französischen Bestimmungen trotz Anwendung eines anderen Erbrechts wegen Verstoßes des „ordre public“ durchsetzt.

Auswirkungen der Gesetzesänderungen für französische Notare

Auch für die französischen Notare hat die Gesetzänderung Auswirkungen. Sie begründet eine weitergehende Informationspflicht der Notare. Wenn ein Notar im Rahmen einer Nachlassabwicklung feststellt, dass französische Pflichtteilsrechte durch Verfügungen des Erblassers und der Anwendung eines fremden Rechts beeinträchtigt sein könnten, ist dieser verpflichtet, jeden einzelnen Erben über seine Rechte und insbesondere über sein Recht einen Ausgleich seines beeinträchtigten Pflichtteilsanspruchs zu verlangen. Das Ausgleichsverfahren, welches eine Reduzierung der zu weitreichenden Verfügungen des Erblassers erreichen soll, heißt „ action en réduction“.