Aktionär stoppt Vergleich mit Vorstand und D&O-Versicherung
Warum die Zustimmung der HV so wichtig ist
Der BGH erklärt den VW-Vergleich im Diesel-Skandal für nichtig – ein Achtungszeichen für Aufsichtsräte bei Klagen gegen Vorstände und für Vorstände bei der Abwehr von Haftungsklagen.
Die Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen Vorstände gehört zu den sensibelsten Entscheidungen des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat ist gesetzlich verpflichtet (§ 93 Abs. 2 S. 1 AktG), Schadensersatzansprüche der AG zu prüfen und durchzusetzen. Nur in einem sehr engen Rahmen kann er von einer Klage gegen den Vorstand absehen. Hinzutritt, dass das Aktiengesetz für den Verzicht der AG auf Schadensersatz und damit auch etwaigen Vergleichen der AG mit dem Vorstand hohe Hürden aufbaut.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 30. September 2025 (Az. II ZR 154/23) diese Hürden noch einmal gefestigt und die millionenschweren Vergleichsvereinbarungen der Volkswagen AG mit ehemaligen Vorständen und D&O-Versicherern im Zusammenhang mit dem Dieselskandal für nichtig erklärt. Das Urteil folgt der Linie des OLG Celle (29. November 2023, Az. 9 U 93/22), verschärft aber die Anforderungen an Transparenz und Aktionärsinformation erheblich.
Vergleich zwischen VW, Vorstand und D&O-Versicherung
Nachdem der Dieselskandal publik geworden war, ließ VW etwaige Ansprüche im Rahmen umfassender interner Untersuchungen (internal investigation) begutachten. Bei der Prüfung gelangte man offensichtlich zu dem Ergebnis, dass zwei ehemalige Vorstandsmitglieder ihre Sorgfaltspflichten im Zusammenhang fahrlässig verletzt hätten, weil sie Anhaltspunkte für den Einsatz unzulässiger Softwarefunktionen von Dieselmotoren nicht zum Anlass einer unverzüglichen Aufklärung genommen hätten.
In der Folge schloss die Volkswagen AG im Jahre 2021 Haftungsvergleiche mit ihrem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und einem ehemaligen Vorstandsmitglied sowie darauf bezogene Deckungsvergleiche mit D&O-Versicherern ab.
Diese sollten einerseits Schadensersatzansprüche gegen die Vorstände abgelten und erledigen. Sie sollten zudem die sich hieraus ergebenden Deckungsansprüche gegen die D&O-Versicherer abgelten und erledigen. Die Vergleiche sahen „Eigenbeiträge“ der ehemaligen Vorstandsmitglieder in Höhe von 11,2 Mio. EUR bzw. 4,1 Mio. EUR und Zahlungen der D&O-Versicherer in Höhe von rund 270 Mio. EUR vor.
VW verpflichtete sich seinerseits, die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder von bestimmten Ansprüchen freizustellen, welche Dritte im Zusammenhang mit dem relevanten Sachverhalt gegen diese geltend machen könnten. In dem Deckungsvergleich verpflichtete VW sich zudem, eine große Zahl näher bestimmter sonstiger Personen, darunter sämtliche weitere ehemaligen oder amtierenden Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, dauerhaft nicht mehr in Anspruch zu nehmen.
Notwendige Zustimmung der Hauptversammlung zum Vergleich mit Vorstand
Ein Vergleich (und damit ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche) zwischen Vorstand und AG erfordert – neben einer Frist von drei Jahren – grundsätzlich auch die Zustimmung der Hauptversammlung.
§ 93 Abs. 4 S. 2 und S. 3 AktG
„Die Gesellschaft kann erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, zur Niederschrift Widerspruch erhebt. Die zeitliche Beschränkung gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird.“
So musste der Hauptversammlung von VW der umfassende Vergleich mit den beiden Vorständen und der D&O-Versicherung zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Tatsächlich stimmte die Hauptversammlung mit überwältigender Mehrheit (99 %) dem Vergleich zu.
Anfechtungsklage gegen Zustimmung der Hauptversammlung
Mehrere Aktionäre erhoben Klage gegen die Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung: Sie seien unzureichend informiert worden. Insbesondere der BGH stimmte ihnen zu.
Zum einen seien die Aktionäre in der Tagesordnung nicht ausreichend darüber informiert worden, dass der Vergleich auch einen Verzicht gegenüber einer Vielzahl weiterer Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrats enthielt (vergleiche zur Tagesordnung § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG).
Zum anderen sei das Fragerecht der Aktionäre (§ 131 AktG) dahingehend verletzt worden, dass den Aktionären unzureichende Auskünfte zur Vermögenslage der in Anspruch genommenen ehemaligen Mitglieder des Vorstands gegeben worden waren. Die („schlechte“) Vermögenslage war jedoch ein wesentlicher Grund für den im Vergleich enthaltenen weitgehenden Verzicht auf Schadensersatzansprüche der AG gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder.
Zustimmung zum Vergleich nach § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
Der BGH betonte, dass einer wirksamen Zustimmung nach § 93 Abs. 4 S. 3 AktG eine vollständige, umfassende und verständliche Darstellung der Vergleichsbedingungen vorausgehen muss. Die Aktionäre müssten den wirtschaftlichen und rechtlichen Gehalt selbst beurteilen können.
Erforderlich seien insbesondere:
- Offenlegung der wesentlichen Vertragsinhalte und Haftungstatbestände,
- Darstellung der finanziellen Auswirkungen auf Gesellschaft und Versicherer,
- Beschreibung der Risikoverteilung zwischen Gesellschaft, Versicherern und Vorständen.
Ein bloßer Überblick über den Vergleich reiche für eine informierte Zustimmung nicht aus.
Folgen: Vergleich unwirksam + Haftung offen
Der BGH stellt mithin fest, dass die Zustimmung der Hauptversammlung nicht wirksam sei. Was folgt daraus?
- Mangels Zustimmung der Hauptversammlung entfällt die Wirksamkeit – Verzichts- und Freistellungsabreden sind nichtig (§ 139 BGB). Es gibt keinen wirksamen Vergleich.
- Die Ansprüche gegen die Vorstandsmitglieder leben wieder auf: Die Gesellschaft kann die Vorstände erneut in Anspruch nehmen (sofern nicht verjährt).
- Es besteht keine Zahlungspflicht der D&O-Versicherer; bereits geleistete Beträge können zurückgefordert werden.
Bedeutung für Praxis und Verantwortung
Das Urteil ist ein Weckruf für Aufsichtsräte und Vorstände zugleich.
Für den Aufsichtsrat gilt:
- Wer die Zustimmung der Hauptversammlung für Vergleich und Anspruchsverzicht gegenüber dem Vorstand möchte, muss eine vollständige Informationsgrundlage für die Aktionäre schaffen.
- Die Zustimmung der Hauptversammlung ist nicht nur ein formaler Akt, sondern Wirksamkeitsvoraussetzung für Vergleich und Verzicht.
- Verstöße gegen Informationspflichten gefährden nicht nur den Vergleich, sondern auch die eigene Haftung.
Für betroffene Vorstände auf der Gegenseite gilt:
- Möchte man einen wirksamen Vergleich, so sollten die Verhandlungen womöglich auch den notwendigen Hauptversammlungsbeschluss umfassend (!) tangieren.
- Ein fehlerhafter Hauptversammlungsbeschluss kann neue Verteidigungschancen eröffnen.
Die Information der Aktionäre – im Rahmen der Einladung und beim Fragerecht – ist keine lästige Formalie, sondern Grundlage rechtswirksamer Entscheidungen. Vergleiche zwischen einer Aktiengesellschaft einerseits und Vorständen andererseits sind hochkomplexe Dinge, die Beratung erfordern.