Religiöse Zurückhaltung am Arbeitsplatz oder Diskriminierung von Muslimen? – Europa und das Kopftuchverbot

Europa und das Kopftuchverbot

Veröffentlicht am: 10.06.2016
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Ein Gastbeitrag von Fiona Schönbohm

In dem hochpolitischen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) um das Verbot von muslimischen Kopftüchern am Arbeitsplatz tut sich wieder was. Generalanwältin Juliane Kokott hat ihren Schlussantrag veröffentlicht – mit einer recht abenteuerlichen Argumentation.  

Das Verfahren im Überblick

Eine belgische Rezeptionistin wurde aus ihrem Unternehmen entlassen, weil sie darauf bestand, bei der Arbeit auch weiterhin ein Kopftuch tragen zu wollen. Kunden hatten sich zuvor beschwert und sich geweigert, sich von Personal mit Kopftuch bedienen zu lassen. Die Frau klagte vor belgischen Gerichten auf Schadensersatz, diese legten die Entscheidung dem EuGH vor. Denn eine solche Entlassung, befürchteten sie, könnte gegen das europäische Diskriminierungsverbot verstoßen.  

Die arbeitsrechtliche und politische Bedeutung

Europa- und deutschlandweit sind derzeit zahlreiche arbeitsrechtliche  Verfahren anhängig, die sich mit der Religionsausübung am Arbeitsplatz befassen. Dabei geht es in der Regel darum, welche Kriterien Arbeitgeber bei der Rekrutierung von Mitarbeitern heranziehen dürfen und welche Kündigungen bzw. Kündigungsgründe im Zusammenhang mit der Religionsausübung vertretbar sind.  In Deutschland kippte das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrer und bestand auf eine Einzelfallprüfung. Die Klage einer konfessionslosen Bewerberin auf Berücksichtigung im Bewerbungsverfahren einer christlichen Institution legte das Bundesarbeitsgericht ebenfalls dem EuGH vor, die Entscheidung wird ebenfalls in diesem Sommer fallen.   

Der Schlussantrag der Generalanwältin

Frau Juliane Kokott sprach sich in ihrem Antrag nun zugunsten eines Kopftuchverbots am Arbeitsplatz aus. Im vorliegenden Fall habe das Unternehmen eine allgemeine Betriebsregelung zur Untersagung von politischen, religiösen und philosophischen Zeichen am Arbeitsplatz getroffen. Daher sei ein Kopftuchverbot nicht unmittelbar diskriminierend. Weiter argumentiert sie, anders als beim Geschlecht, der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft oder der sexuellen Ausrichtung, die man „an der Garderobe nicht abgeben“ könne,  handele es sich bei der Religionsausübung weniger um eine unabänderliche Gegebenheit als vielmehr um einen Aspekt der privaten Lebensführung, auf den die betroffenen Arbeitnehmer willentlich Einfluss nehmen könnten.  

Europa- und menschenrechtlich unhaltbare Argumentation

Wer sich in der Rechtsprechung des EuGH oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mal umgesehen hat, dürfte sich bei dieser Argumentation verwundert die Augen reiben. Die Freiheit eines jeden, seine Religion nicht nur frei zu wählen, sondern diese auch offen ausüben zu dürfen, wurde von den Gerichten schließlich mehrfach bestätigt. Es ist Jahrzehnte her, dass sich eine deutsche Behörde zuletzt gegenüber Geflüchteten darauf zu berufen wagte, sie könnten ihrem christlichen Glauben doch auch in ihrer streng muslimischen Heimat heimlich im Eigenheim folgen. Diese  Argumentation wurde donnernd zurückgewiesen.  

Geht es Frau Kokott nur um den muslimischen Glauben?

Die Autorin fragt sich daher, wie eine deutsche Fachjuristin für europäisches Recht auf die Idee kommt, man könne seine Religion auf dem Weg zum Arbeitsplatz am Eingang abgeben. Frau Kokott – übrigens auch Mitglied der deutsch-israelischen Juristenvereinigung – sollte sich darüber im Klaren sein, dass sie mit ihrem Schlussantrag denen eine Stimme gibt, die versuchen, den muslimischen Glauben von der Religionsfreiheit zu separieren. Welche anderen Religionen wären denn faktisch überhaupt von Bekleidungsverboten am Arbeitsplatz betroffen? Tragen Sie einen 20 Zentimeter großen Jesus am Kreuz über ihrem Hemd? Oder ein „Religion ist doof“-Shirt zur Arbeit? Und wie genau sind Kunden davon in ihrer persönlichen Freiheit beeinflusst, wenn die Rezeptionistin sie mit Kopftuch grüßt? Doch nicht wesentlich mehr als man es ist, wenn besagte Rezeptionistin schlecht gefärbte Haare oder eine Vorliebe für modisch erschreckende Hüte hat.

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