Work-Life-Balance für Rechtsanwälte?
Arbeitszeitgesetz gilt auch in der Großkanzlei
Mit der Gesundheit und den Arbeitszeiten ihrer angestellten Anwälte nehmen es viele Kanzleien nicht so genau. Möglicherweise wird das Urteil des VG Hamburg hieran etwas ändern.
Traditionell arbeiten Anwälte selbständig als Freiberufler. Vor allem große Wirtschaftskanzleien beschäftigen inzwischen aber ganz überwiegend angestellte Anwälte. Damit müssten sie sich auch an die geltenden Gesetze zum Schutze von Arbeitnehmern halten. Vor allem im Hinblick auf die Arbeitszeiten der Anwälte klappt das allerdings so gar nicht. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte in diesem Jahr Gelegenheit, einmal klarzustellen, dass das Arbeitszeitgesetz auch für Beschäftigte internationaler Wirtschaftskanzleien gilt (VG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2025, 21 K 1202/25).
Anonyme Beschwerde beklagt massive Überschreitung der zulässigen Arbeitszeit
Ausgangspunkt waren zwei Beschwerden aus dem Jahr 2020 und 2021, die jeweils eine erhebliche Überschreitung und Missachtung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeiten am Hamburger Standort einer internationalen Großkanzlei anprangerten. Zuständig für die Überwachung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in Hamburger Betrieben ist die staatliche Arbeitsschutzaufsicht.
Die anonymen Beschwerden im Wortlaut
“Das Arbeitszeitschutzgesetz wird regelmässig massiv überschritten und missachtet. Anwesenheiten von täglich 9 bis 22/23 Uhr kommen regelmässig täglich vor und werden den Mandanten entsprechend in Rechnung gestellt.”
"Bei dem genannten Betrieb kommtes leider regelmässig (d.h. fast täglich) und systematisch zu massiver Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Arbeitszeiten. Arbeitszeiten von 9-10 Uhr bis 23-24 Uhr sind keine
Seltenheit."
Auf Nachfragen der Behörde kam dann noch die Information hinzu, "dass die Nettoarbeitszeiten aufgezeichnet würden, da diese den Mandanten in Rechnung gestellt würden und dass die Partner für die Aufzeichnung und Abrechnung der aufgezeichneten Stunden verantwortlich seien".
Nachdem die Behörde sich dann im Rahmen einer Online-Konferenz zur Systemkontrolle, sowie einer Vor-Ort-Besichtigung in den Kanzleiräumen ein Bild von den Zuständen gemacht hatte, erging am 30. November 2023 ein Bescheid mit folgender Anordnung:
Nachvollziehbare Aufzeichnung der Arbeitszeiten mit Arbeitsbeginn, Arbeitsende und täglicher Arbeitszeit für alle angestellten Rechtsanwälte
Dazu kam noch die Anordnung, die betroffenen Mitarbeiter entsprechend zu unterweisen. Außerdem wurde die Kanzlei aufgefordert mitzuteilen, wie die verantwortlichen Partner ihrer Verantwortung bei der Gestaltung und Kontrolle der Arbeitszeiten durch regelmäßige Prüfung nachkommen wollen.
Uneinsichtig, aber kreativ - die Rechtfertigung der Großkanzlei
Wer eine Vorstellung vom Geschäftsmodell und Selbstverständnis internationaler Wirtschaftskanzleien hat, wird nicht überrascht sein, dass der Bescheid nicht ohne Widerspruch blieb. Die Kanzlei schoss juristisch verzweifelt aus allen Rohren, um die drohende Arbeitszeiterfassung ihrer Angestellten zu verhindern:
- Eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ergebe sich weder aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) noch aus dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG).
- Einer anderslautenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus 2022 stünden verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber und auch aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie und einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs folge keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.
- Die Anordnung der Behörde würde “eine unmittelbare Drittwirkung der Arbeitszeitrichtlinie im Vertikalverhältnis von Staat und Bürger herbeiführen” (was auch immer das bedeuten mag…).
- Der Bescheid sei mangels Anhörung und wegen unzureichender Begründung formell rechtswidrig.
- Arbeitsschutzgesetz und Arbeitszeitgesetz gelten nur für Arbeitsleistungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
- Auch habe die Behörde ihren Ermessensspielraum nicht ausgeübt.
- Angestellte Anwälte seien in ihrer Berufsausübung unabhängig, sodass eine Erfassung ihrer Arbeitszeit potenziell zu einem Spannungsverhältnis mit der Treuepflicht gegenüber ihren Mandanten entstehe.
- Angestellte Anwälte seien mit Chefärzten und Wirtschaftsprüfern gleichzustellen, die auch nicht den starren Grenzen des Arbeitszeitgesetzes unterliegen.
Der Widerspruch der Kanzlei wurde - wenig überraschend - mit Bescheid vom 30. Januar 2025 zurückgewiesen. So kam es dann zum vorläufigen Showdown beim Verwaltungsgericht Hamburg, wo die Kanzlei am 26. Februar 2025 Klage erhob.
Wer nicht krank ist, soll ruhig länger arbeiten
Vor Gericht wurde von der Kanzlei noch ein neues Argument gegen die Arbeitszeiterfassung in den Ring geworfen: Da der Krankenstand der Berufsträger deutlich unter dem allgemeinen Krankenstand in Hamburg liege, sei belegt, dass eine Gesundheitsgefährdung durch übermäßige Arbeitszeiten vorliegend ausgeschlossen sei. Außerdem sehe das Bonunssystem der Kanzlei Boni vor, die sich mit geleisteten Arbeitsstunden erreichen ließen, welche die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes berücksichtigen.
Im gerichtlichen Verfahren wurden einzelne Streitpunkte von den Parteien für erledigt erklärt und es wurde noch etwas darüber philosophiert, wer genau in der Kanzlei jetzt mit “angestelltem Rechtsanwalt” gemeint ist - nämlich Associates und Senior Associates. In der Kernfrage, ob die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten in der Kanzlei nachvollziehbar aufgezeichnet werden müssen, entschied das VG Hamburg aber, dass die Anordnung der Behörde insoweit rechtmäßig ist.
Die entscheidenden Normen im Arbeitszeitgesetz
§ 3 ArbZG: Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.
§ 17 Absatz 2 ArbZG: Die Aufsichtsbehörde kann die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten zu treffen hat.
In nur 8 Stunden am Tag die Welt retten?
Das Verwaltungsgericht tat sich offenkundig nicht schwer, die vermeintliche Rechtfertigung der klagenden Kanzlei zu verwerfen. Schließlich findet sich die Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Behörde ausdrücklich in § 17 Absatz 2 ArbZG und auch die sonstigen formellen Bedenken wurden schnell ausgeräumt.
Hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit sah das Gericht hier eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, da es vorliegend davon ausging, dass die im Arbeitszeitgesetz geregelte gewöhnliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden in der Kanzlei tatsächlich eher nicht eingehalten wird. Schließlich hatte die Kanzlei gar nicht versucht, das Verwaltungsgericht davon zu überzeugen, dass ihre angestellten Anwälte die Höchstarbeitszeit und Pausenzeiten regelmäßig einhalten. Das könne man auch nicht aufgrund des behaupteten geringen Krankenstandes folgern. Schließlich könne ja auch einfach der Arbeitsdruck derart hoch sein, dass die Beschäftigten trotz Krankheit ihrer Arbeitstätigkeit nachgehen.
Klargestellt wurde in den Entscheidungsgründen auch, dass angestellte Rechtsanwälte sehr wohl unter den Schutz des Arbeitszeitgesetzes fallen, da es sich bei ihnen weder um leitende Angestellte noch um Chefärzte handelt.
Man darf gespannt sein, ob und wie das Hamburger Urteil zu einer Veränderung der Arbeitsbedingungen in den Großkanzleien führt. Bisher scheinen viele auf Zeit zu spielen und es gibt womöglich noch immer juristischen Nachwuchs, für den eine gesunde Work-Life-Balance keine große Rolle spielt. Möglicherweise haben die Wirtschaftskanzleien auch mit ihrer Lobbyarbeit für eine gesetzliche Aufweichung des Arbeitsschutzes Erfolg. Ein schlechtes Gewissen haben sie dabei nicht. Schließlich retten sie mit ihren Teams Tag für Tag die Welt - oder zumindest den Standort Deutschland.
Video: Umsatzpartner bei ROSE & PARTNER
Die Anwälte bei ROSE & PARTNER können als selbständige Umsatzpartner ihre Arbeitszeit genauso frei bestimmten wie ihre Arbeitsbelastung, ihren Arbeitsort und auch ihre Mandate. Rechtsanwalt Bernfried Rose erklärt in diesem Video, wie die Umsatzpartnerschaft bei uns funktioniert.
