Aufsichtsrat in der Informationsfalle

Haftung wegen Untätigkeit vs. Compliance

Veröffentlicht am: 01.12.2025
Qualifikation: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Aufsichtsräte verlassen sich oft blind auf die Berichte und Informationen, die der Vorstand liefert. Der BGH zeigt: Passives Verhalten führt direkt in die Haftungsfalle. Ohne ein strukturiertes Informationssystem geht es nicht. Das hat auch Rückwirkungen auf den Vorstand.

Viele Aufsichtsräte verlassen sich auf die gesetzlich vorgesehenen Berichte des Vorstandes. Viele Aufsichtsräte gehen auch davon aus, dass der Vorstand sich schon meldet, wenn etwas Wichtiges ansteht. Viele Aufsichtsräte riskieren damit eine persönliche Haftung mit dem privaten Vermögen.

In der Praxis des Anwalts zeigen sich die Gründe für dieses Haftungsrisiko: Die gesetzlich vorgesehenen Berichte (§ 90 AktG) kommen oft nicht so regelmäßig, wie es das Aktiengesetz vorsieht. Viele Berichte sind zudem eher Kurzgeschichten als informative Handlungsgrundlage. Und auch die situationsabhängigen ad-hoc-Informationsupdates sind Mangelware. Verwunderlich ist diese Praxis nicht: Der Vorstand legt mit den Informationen schließlich Zeugnis über sein eigenes Handeln, womöglich über sein eigenes Versagen …

Aus Sicht des Aufsichtsrates ist gerade die Informationsbeschaffung die Achillesferse der Überwachung. Das zeigt eindrucksvoll eine aktuelle Entscheidung des BGH vom 14.10.2025 (Az. II ZR 78/24): Ohne ausreichende Information ist eine pflichtgemäße Aufsichtstätigkeit nicht möglich – es bedarf einer strukturierten Informationsbeschaffung.

Überwachung setzt Information des Aufsichtsrates voraus

Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen. Das statuiert § 111 Absatz 1 AktG ausdrücklich. Diese konkrete Überwachungsaufgabe kann der Aufsichtsrat nur erfüllen, wenn seine Mitglieder die hierfür notwendigen Informationen erhalten.

Das Aktienrecht hat hierfür etwas vorgesorgt. So sieht § 90 Absatz 1 AktG regelmäßige Berichtspflichten vor, die der Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat erfüllen muss. Bei dieser Pflicht des Vorstandes handelt es sich um eine „Bringschuld“ – der Vorstand muss aktiv werden und die Information zum Aufsichtsrat „bringen“.

Aber ein ganz großes Aber: Trotz der „Bringschuld“ des Vorstandes darf der Aufsichtsrat sich nicht passiv zurücklehnen. Bleiben Berichte aus, sind Berichte nicht vollständig oder nicht aussagekräftig, dann muss der Aufsichtsrat nachfassen. Gleiches gilt, wenn es Anlass „zur Sorge“ gibt – auch hier muss der Aufsichtsrat sich die Informationen aktiv besorgen bzw. holen. Diese Holschuld ist ein wesentlicher Bestandteil des Pflichtenkreises des Aufsichtsrates.

BGH: Aktive Informationspflichten des Aufsichtsrates

Der genannte Fall des Bundesgerichtshofes führt diese aktive Holschuld des Aufsichtsrates vor Augen. In dem Fall stellte der Vorstand der AG die ursprüngliche Geschäftstätigkeit – das Makeln von Versicherungen – faktisch ein. Stattdessen begann er, ohne Wissen des Aufsichtsrates, Immobilien in Zwangsversteigerungen zu erwerben, um diese anschließend gewinnbringend zu veräußern. Da der Vorstand auch seinen gesetzlichen Berichtspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat nach § 90 AktG nicht nachkam, blieb das Treiben dem Aufsichtsrat verborgen.

Die AG konnte einem der Immobilienkäufer das Eigentum an der verkauften Immobilie nicht verschaffen, worauf der Käufer seinen Schaden von der AG ersetzt haben wollte. Als die AG nicht zahlen konnte, pfändete der Käufer Ansprüche der AG gegen den Aufsichtsrat wegen Pflichtverletzung und ging gegen Mitglieder des Aufsichtsrates persönlich vor. Das Argument war: Hätte der Aufsichtsrat die gesetzlichen Berichtspflichten des Vorstandes eingefordert, wäre das pflichtwidrige Handeln des Vorstandes aufgedeckt und verhindert worden.

Der BGH gab dem Kläger recht: Der Aufsichtsrat habe immer – auch bei einem vermeintlich ruhenden Geschäftsbetrieb – die Informationspflichten des Vorstandes einzufordern. Liefere der Vorstand die gesetzlich vorgesehenen Informationen nicht, so muss der Aufsichtsrat diese aktiv einfordern. Darüber hinaus machte der BGH deutlich: Informelle Gespräche – zufällige Begegnungen oder kurze Telefonate – ersetzen keine formellen Berichte.

Welche Folgerungen lassen sich für die Praxis aus dem Urteil des BGH ziehen?

Folgerung 1 – Überwachungspflicht, aktive Informationsbeschaffung

Erster wesentlicher Punkt ist die Betonung der notwendigen aktiven Rolle des Aufsichtsrates bei der Informationsbeschaffung. Der Aufsichtsrat muss Informationen aktiv und zeitnah einfordern. Dies gilt insbesondere, wenn

  • Berichte nach § 90 AktG nicht, verspätet oder unvollständig vorgelegt werden,
  • Anzeichen für Fehlentwicklungen bestehen,
  • Risiken oder Entwicklungen nicht adressiert werden,
  • der Vorstand „auf Tauchstation“ geht oder die Kommunikation reduziert.

Dabei gilt: Informelle oder mündliche Berichte sind besser als nichts, ersetzen aber keine strukturierte Informationsgrundlage. Ohne klare, nachvollziehbare und dokumentierte Informationen lässt sich die Pflicht zur Überwachung nicht erfüllen.

Folgerung 2 – Compliance, Informationssystem

Eine strukturierte Informationsgrundlage lässt sich indes nur schaffen, wenn es – womöglich über die rudimentären gesetzlichen Grundlagen hinaus – ein strukturiertes Informationssystem gibt, das die häufigsten Fehler adressiert:

  • kein klares Reporting-System zwischen Vorstand und Aufsichtsrat (was, wann, wie),
  • keine Nachfragen bei ausbleibenden Berichten,
  • keine ausreichende Dokumentation,
  • keine Folgenregelungen bei Verletzungen des Systems.

Sinnvoll erscheint für eine AG daher eine umfassende „Informationsordnung“, die den Informationsfluss – wann, wie, was – zwischen Aufsichtsrat und Vorstand rechtlich klar regelt.