Rechtsstaatlichkeit am Beispiel Kinderehe

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet zur Befangenheit eines Richters im Verfahren gegen das Kinderehe-Gesetz.

Bundesverfassungsgericht hält Richter in Entscheidung gegen Kinderehe-Gesetz für nicht befangen.

Veröffentlicht am: 31.01.2020
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Ein Beitrag von Fiona Schönbohm

Trotz erheblicher Proteste von Fachverbänden und Rechtsexperten hat der Bundestag 2017 das Gesetz gegen Kinderehen verabschiedet. Auch der Bundesgerichtshof hält das Gesetz für verfassungswidrig und legte es dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vor. Dort soll nun ein Richter an der Entscheidung mitwirken, der vor 2 Jahren noch als CDU-Vize im Bundestag Initiator des Gesetzes war – das entschied das BVerfG nun in einem Beschluss. Wie kann das sein?

Bewusster Verstoß gegen das GG

Lassen sie uns nicht darüber streiten, ob Kinderehen mit unserer Werteordnung vereinbar sind. Die Antwort ist ganz klar: Nein! Aber entscheidend muss doch sein, wie den betroffenen Minderjährigen am besten geholfen wird.

Als das Gesetz gegen Kinderehen 2017 zur Debatte stand, schrieben 20 Fachverbände ihre Stellungnahmen an den Bundestag. Sie waren sich einig: Die Regelung benachteiligt ausgerechnet die Minderjährigen und widerspricht dem Kindeswohl! Auch Rechtsexperten bescheinigten dem Entwurf bei einer Anhörung im Bundestag die Verfassungswidrigkeit. Dennoch wurde es verabschiedet.

Kindeswohl nicht berücksichtigt

Kritikpunkt ist folgender: Eine ausländische Ehe kann aufhebbar oder unwirksam sein, wenn einer der Beteiligten zum Zeitpunkt der Heirat minderjährig war. Aufhebbar ist sie dann, wenn ein Beteiligter zum Zeitpunkt der Eheschließung 16 oder 17 Jahre alt war. Die Aufhebung ist ausgeschlossen, wenn der Minderjährige mittlerweile volljährig ist und die Ehe bestätigt oder wenn dies eine unzumutbare Härte für den Minderjährigen darstellen würde.

Automatisch unwirksam aber ist die Ehe, wenn ein Teil bei der Eheschließung unter 16 Jahre alt war. Nur ganz ausnahmsweise wird von der Unwirksamkeit abgesehen, wenn die Beteiligten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes oder der Begründung ihres gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland volljährig waren. Ein Ermessensspielraum steht den Behörden hier aber nicht zu, eine Einzelfallabwägung findet nicht statt. Gerade darin liegt das Problem.

Starrer Automatismus ohne Einzelfallprüfung

Im konkreten Einzelfall kann eine Unwirksamkeit der Ehe aber ausgerechnet dem Minderjährigen zum Nachteil geraten. Eine Regelung zum Unterhalt etwa gibt es nicht. Besonders heikel wird es, wenn das betroffene Ehepaar mittlerweile selbst Kinder hat. Denn bei Unwirksamkeit der Ehe kann es zum Verlust der Rechtsstellung als Vater kommen, wodurch das Kind der Beteiligten wiederum Unterhaltsansprüche verliert. Dadurch läuft das Gesetz aber gerade dem grundrechtlichen Gebot zum Schutz des Kindeswohls entgegen.

Die angehörten Rechtsexperten meinen: Dadurch wird das Grundrecht auf Schutz der Ehe und Familie aus dem Grundgesetz sowie aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt. Dieses Schutzgebot strahlt aber im Familienrecht auf alle Entscheidungen aus. Dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in seiner kommenden Entscheidung als verfassungswidrig einstufen wird, dürfte daher zu erwarten sein. Selbst Harbarth hat damals für eine Einzelfalllösung plädiert und nicht für einen strengen Automatismus.

Richter in eigener Sache?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im kommenden Jahr zu erwarten ist, wird allerdings unter Mitwirkung eines ehemaligen Initiators des Gesetzes beurteilt. Der Richter, um den es geht, heißt Stephan Harbarth und ist seit November 2018 Vizepräsident am Bundesverfassungsgericht. Wenn der derzeitige Präsident Andreas Voßkuhle im Mai 2020 sein Amt niederlegt, soll Harbarth nachrücken – trotz erheblicher Kritik. Denn der ehemalige CDU-Vize im Bundestag hat viele Gesetze dort mitgetragen.

Zwar genügt es für die Befangenheit eines Verfassungsrichters nicht, wenn man lediglich am Gesetzgebungsverfahren beteiligt war. So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht selbst und ließ Harbarth zur Entscheidung zu.

Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl in Zeiten politisch motivierter Gesetze, die so eklatant und wissentlich das Grundgesetz mit Füßen treten. Wer sich im Bundestag von der Meinungsmache der AfD treiben lässt – kann der dann wirklich als neutraler Verfassungshüter über die Reichweite unseres Grundgesetzes urteilen? Oder steht ein solcher Präsident nicht der Unabhängigkeit und dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts als oberstes Kontrollgremium der Legislative entgegen?

Gerade in Zeiten, in denen die Akzeptanz unserer Gerichtsentscheidungen in der Bevölkerung abnimmt - müssen da die wichtigsten Richter des Landes wirklich aus dem Herzen einer Partei unmittelbar vom Bundestag in unser heiligstes Gericht wechseln?