Streit mit den Arbeitnehmern
Abmahnungen sind nicht immer zulässig
Vor dem Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung ist vertragswidriges Verhalten der Arbeitnehmer in der Regel zunächst durch eine Abmahnung zu rügen. Ebenso wie eine Kündigung darf jedoch auch diese nicht ungerechtfertigt ausgesprochen werden und kann gerichtlich überprüft werden. Mit den Problemen von solch ungerechtfertigten Abmahnungen hatte sich das Arbeitsgericht Berlin gleich in mehreren Verfahren zu befassen.
Regelmäßig verlangen die Arbeitsgerichte vor dem Ausspruch einer wirksamen Kündigung durch den Arbeitgeber, dass dieser eine Abmahnung vorausgeht. Solche Abmahnungen dürfen allerdings nicht willkürlich erteilt werden. Hält ein Arbeitnehmer eine gegen ihn gerichtete Abmahnung für ungerechtfertigt, kann er vor den Arbeitsgerichten auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte klagen. Mit einer solchen Klage und den damit verbundenen Fragen zur Zulässigkeit von Abmahnungen hatte sich das Arbeitsgericht Berlin gleich in zwei Verfahren zu befassen (ArbG Berlin, Urteil vom 10.07.2025 – Az. 59 Ca 10500/24 und Az. 59 Ca 10638/24).
Antidemokratische Universität
Mehrere Arbeitnehmer der Freien Universität Berlin (FU Berlin) sind Mitglieder der ver.di-Betriebsgruppe. Darunter auch die beiden klagenden Arbeitnehmer in den Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin. Ende Januar 2024 veröffentlichte der Vorstand der ver.di-Betriebsgruppe auf seiner Website einen Aufruf zur Teilnahme an einem Aktionstag, der sich unter anderem gegen die AfD richtete. In diesem Zusammenhang nahm ver.di auch die Universität in den Blick. Die FU Berlin habe Reinigungsarbeiten an Fremdfirmen ausgelagert und dadurch Tarifstandards unterlaufen. Außerdem habe sie tarifliche Zuschläge nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt. Damit verhalte sich die FU Berlin tarifwidrig, mitbestimmungsfeindlich und antidemokratisch und trage so zum Rechtsdruck und dem Aufstieg der AfD bei. Vor diesem Hintergrund rief ver.di ihre Mitglieder an der Universität zur Teilnahme an dem Aktionstag auf, um gegen diese Missstände zu protestieren.
Aufgrund der Beteiligung ihrer Beschäftigten an dem Aufruf sprach die FU Berlin mehrere Abmahnungen gegen die betroffenen Arbeitnehmer aus. Diese akzeptierten die Abmahnungen nicht und zogen jeweils vor das Arbeitsgericht.
(Il)Loyales Arbeitnehmerverhalten
Die FU Berlin wertete die Beteiligung ihrer Beschäftigten an dem Aufruf der ver.di-Betriebsgruppe als illoyales Verhalten. Die getätigten Äußerungen seien ehrverletzend und verstießen gegen die arbeitsvertraglichen Treue- und Loyalitätspflichten.
Mit diesem Vortrag hatte die Universität vor dem Arbeitsgericht allerdings keinen Erfolg. Eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Treue- und Loyalitätspflichten könne in dem Internetaufruf nicht gesehen werden. Insbesondere deshalb, weil die beanstandeten Aussagen im Kern zutreffend seien. So habe die Universität ihre Reinigungsarbeiten tatsächlich ausgelagert, wobei das beauftragte Drittunternehmen ungünstigeren tariflichen Bedingungen unterfiele. Auch seien tarifliche Zuschläge nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt worden. Den Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats habe die Universität zudem in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren selbst anerkannt.
Damit sei der Vorwurf des antidemokratischen und tarifwidrigen Verhaltens zwar polemisch zugespitzt formuliert, jeder weder anlasslos noch auf eine persönliche Kränkung gerichtet. Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte überwiege daher die Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer.
Wenig Spielraum für Arbeitgeber
Die Arbeitsgerichte in Berlin entschieden in allen vier Verfahren einheitlich. Die FU Berlin muss nun die Abmahnungen aus den Personalakten der betroffenen Arbeitnehmer entfernen. Das Urteil verdeutlichen einmal mehr den Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit der Beschäftigten und den unternehmerischen Interessen des Arbeitgebers. Zugleich machen die Entscheidungen deutlich, dass Arbeitnehmer Missstände im Betrieb auch öffentlich kundtun können, solange diese der Wahrheit entsprechen.
Arbeitgeber sollten nicht außer Acht lassen, dass das Arbeitsrecht in erster Linie dem Schutz der Arbeitnehmer dient. Um kostspielige und langwierige Verfahren zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, Maßnahmen gegen Beschäftigte erst nach sorgfältiger rechtlicher Prüfung, idealerweise durch einen Fachanwalt, einzuleiten.