Umsatzsteuerkarussell: Verkauf von Airpods

Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA): Steuerhinterziehung in Höhe von 93 Millionen Euro

Nach Behördenschätzung sollen fast 93 Millionen EUR an Umsatzsteuer durch den Verkauf von Apple Airpods innerhalb der EU hinterzogen worden sein. Ermittelt wird wegen eines sogenannten Umsatzsteuerkarussells.

Veröffentlicht am: 07.05.2025
Qualifikation: Rechtsanwalt und Steuerberater
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Ende Januar 2025 begann vor dem Landgericht Düsseldorf die Hauptverhandlung gegen drei Angeklagte wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung von rund 93 Millionen EUR mittels Einrichtung und Durchführung eines sogenannten Umsatzsteuer-Karussells (LG Düsseldorf, 29.01.2025 – 10 KLs 4/24). Die Angeklagten sollen europaweit Scheinfirmen gegründet und über diese beliebten und hochwertigen Waren, insbesondere Apple AirPods, vertrieben haben. Tatsächlich sollen aber keine Lieferungen ausgeführt, sondern die Waren an den eigenen Standorten in Köln und in Bayern gelagert worden sein. Die Lieferungen sollen nur zum Schein über eine Reihe von Scheinfirmen ausgeführt worden sein, um die bei den (Schein-) Lieferungen an gewerbliche Händler/Einkäufer/Empfänger der Waren entstehenden Vorsteueransprüche gegenüber den jeweils örtlich zuständigen Finanzämtern geltend zu machen, obwohl die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben sollen.

Der Aufbau eines europaweiten Netzes von Scheinfirmen und die Einrichtung eines entsprechenden Rechnungswesens soll insgesamt drei Jahre lang funktioniert haben, bevor die illegalen Vorsteuerabrechnungen hinterfragt und Ermittlungen aufgenommen wurden.

In der vor dem Landgericht Düsseldorf eröffneten Anklage wirft die Europäische Staatsanwaltschaft den drei Angeklagten bandenmäßige Steuerhinterziehung in besonders großem Ausmaß vor. Der Strafrahmen liegt gemäß § 370 Abs. 3 AO für jede nachgewiesene Tat zwischen sechs Monaten (Mindeststrafe) und zehn Jahren Freiheitsstrafe. 

Behördenschätzung: 93 Millionen Euro Umsatzsteuern hinterzogen

Die Staatsanwaltschaft schätzte den Schaden auf bis zu 93 Millionen Euro. Damit korrigierten die Staatsanwälte die vorherige Schätzung des Gerichts, dass der Schaden sich auf fast 150 Millionen Euro belaufen könne.

Aufgeflogen war die Steuerhinterziehung im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens. Besonders auffällig soll das große Liefervolumen des Unternehmens gewesen sein. Die Bande soll innerhalb kürzester Zeit laut Staatsanwaltschaft etwa 600 Millionen Produkte innerhalb der EU gehandelt haben. Obgleich es sich bei den Apple Airpods derzeit um die bekanntesten In-Ear-Kopfhörer handele, sei die Anzahl der angeblich verkauften Waren doch auffällig hoch gewesen.

Umsatzsteuerkarussell – unrechtmäßige Vorsteuererstattung

Bei der Hinterziehung von Umsatz bzw. Mehrwertsteuer entsteht der Steuerschaden entweder durch Unterlassen der Steueranmeldung und Nichtzahlung der aus Verkäufen/Lieferungen oder sonstigen Leistungen geschuldeten Beträge oder durch die Geltendmachung unberechtigter, z.B. durch Scheinrechnungen vorgetäuschter, Vorsteueransprüche.

Das zuvor dargestellte Strafverfahren betrifft die illegale Geltendmachung von Vorsteuern aus behaupteten, tatsächlich aber nicht durchgeführten Einkäufen von Waren. Dabei werden "Lieferketten" über Scheinfirmen eingerichtet, über die die Rechnungslegung (Abrechnungsketten) erfolgt, ohne dass aber tatsächlich Lieferungen ausgeführt wurden. Werden dabei mehrere Scheinfirmen hintereinander "geschaltet" spricht man von einem Umsatzsteuerkarussell, auch wenn die Ware (zum Schein) nur eine bestimmte Strecke und nicht vollständig im Kreis versendet wird.

Bei Liefer- bzw. Abrechnungsketten über die nationalen Grenzen hinweg gilt innerhalb der EU das im Ergebnis steuerneutrale Abrechnungsmodell der innergemeinschaftlichen Lieferungen, das aber in den Steueranmeldungen zu erklären ist. Durch Kontrollmitteilungen der Finanzämter untereinander, auch über nationale Grenzen hinweg, lassen sich die behaupteten Lieferwege zunächst auf Plausibilität und gegebenenfalls im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens auch auf ihre tatsächliche Existenz prüfen.

Häufig geben die zuerst im Inland belieferten Firmen (strafrechtlicher Sprachgebrauch: Missing-Trader) keine Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahreserklärungen ab, obwohl sie die Waren nach ihrer Rechnungslegung mit Umsatzsteuerausweis an weitere Handelsunternehmen weiterverkaufen. Die angeblichen Empfängerfirmen der Waren erklären dann die in den ihnen vorliegenden Rechnungen enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuern gegenüber dem örtlichen Finanzamt, das ohne Hintergrundkenntnisse die angemeldete, aber in Wirklichkeit vorgetäuschte Steuervergütung, zur Auszahlung bewilligt.

Der betrügerische Einsatz von sogenannten „Missing-Tradern“ als Wiederverkäufer von in Wirklichkeit nicht gelieferten Waren führt zu Steuerschäden in Millionenhöhe. Zur Bekämpfung – insbesondere der grenzüberschreitenden Straftaten – hat die Europäische Staatsanwaltschaft EUStA) mit Sitz in Luxemburg und nationalen Vertretungen in den Mitgliedstaaten am 1. Juni 2021 ihre Tätigkeit aufgenommen. In die Zuständigkeit fallen nicht nur Betrug, Korruption und Geldwäsche, sondern insbesondere auch die grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuern. Dabei sind die Begriffe Umsatz- und Mehrwertsteuern identisch.

Fortgang des Verfahrens:

Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf steht noch aus. Nach den Feststellungen der Hauptverhandlung sind die zur Verurteilung führenden Tatbeiträge für jeden Angeklagten individuell strafrechtlich zu bewerten.

Insofern könnte für einen Angeklagten eine besondere Prozesssituation eintreten: Die Staatsanwaltschaft soll sich bereit erklärt haben, das Strafverfahren gegen einen der Angeklagten – einen 43-jährigen Steuerberater – gegen ein Geständnis und eine von der Strafkammer angekündigte Geldauflage in Höhe von 75.000 EUR einzustellen. Den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge habe der 43-Jährige keine Kenntnis vom gesamten Ausmaß des Steuerbetrugs gehabt und im Gegensatz zu den anderen beiden Männern auch kaum davon profitiert. Er soll zwischen 500 und 1.000 EUR monatlich für die Position als Geschäftsführer eines Unternehmens mit Sitz in Budapest erhalten haben. Das Unternehmen diente als Zwischenhändler im Rahmen der Auslandsgeschäfte. Der Mann soll von den beiden anderen Beteiligten 2020 angeworben worden, nach zwei Jahren aber wieder ausgestiegen sein.

Über den Fortgang und die zu erwartende Beendigung des Strafverfahrens durch Urteile werden wir weiter berichten.