Wenn rechtspolitisches Auftreten zum Kündigungsgrund wird
Arbeitsrechtliche Folgen vom „Sylt-Video“
Insbesondere seit der Veröffentlichung des "Sylt-Videos" stellt sich vermehrt die Frage, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer sich außerhalb seiner Arbeitszeit eines Fehlverhaltens schuldig macht. Die Rechtslage ist nicht immer eindeutig.
In den vergangenen Wochen kursierte Videomaterial aus dem Sylter Nobelclub „Pony“. Darauf waren einige junge Menschen zu sehen, die gemeinsam rassistische und rechtsextreme Parolen riefen. Nicht lange danach gelang es, durch mehrfaches Teilen auf sozialen Netzwerken, die Identitäten der jeweiligen Personen, ihre Hochschulen und Arbeitgeber ausfindig zu machen. Es folgten öffentliche Stellungnahmen der Unternehmen; möglicherweise könnten die Arbeitsverhältnisse der auf dem Video zu sehenden Arbeitnehmer gekündigt worden sein. Dass außerberufliches Verhalten zur Kündigung führt, ist kein Einzelfall. Regelmäßig müssen Arbeitsgerichte über die Wirksamkeit solcher Kündigungsgründe entscheiden.
Privates bleibt privat
Das Arbeitsrecht dient auch dem Arbeitnehmerschutz. Daher gilt im Grundsatz, dass der Arbeitgeber keine Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis auf Grundlage des außerberuflichen Verhaltens des Arbeitnehmers ziehen dürfte. Was der Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit tut oder wie seine politische Ausrichtung ist, bleibt ihm überlassen. Dies gilt zumindest, solange das Verhalten außerhalb des Betriebes keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitgeber hat.
Wann schadet außerberufliches Fehlverhalten dem Arbeitgeber?
Ob das private Verhalten des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber geschadet hat, ist aufgrund des wichtigen Arbeitnehmerschutzes sehr eng zu beurteilen. Dabei sind nicht nur das öffentliche Ansehen und das wirtschaftliche Interesse des Unternehmens zu betrachten; das Betriebsklima spielt auch eine wichtige Rolle.
Das „Sylt-Video“ führte die Unternehmen in ein scheinbar unlösbares Dilemma; durch die Öffentlichkeit wurden die Arbeitgeber zur Stellungnahme gedrängt, konnten jedoch dabei die Privatsphäre der Arbeitnehmer nicht vollständig außer Betracht lassen. Es dürfte glaubhaft sein, dass das Betriebsklima an den öffentlichen Äußerungen der Arbeitnehmer gelitten habe; schwieriger dürfte es zu beweisen sein, dass die Unternehmen Nachteile erleiden werden.
Aber: Vergleichbarkeit zu vergangenen Urteilen ist gegeben
Im Zusammenhang mit dem „Sylt-Fall“ ist es nicht ausgeschlossen, dass die Kündigungen im Falle einer Klage für wirksam erklärt werden. Diese Annahme beruht auf einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23). In diesem Fall kündigte der Arbeitgeber mehreren Arbeitnehmern wegen beleidigender und menschenverachtender Äußerungen in einem WhatsApp-Gruppenchat. Die Kündigungsschutzklage scheiterte nach dem BAG an der fehlenden Vertraulichkeitserwartung. Eine solche kann nur vorliegen, wenn die Betroffenen in dem Raum der Kommunikation einen besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen können.
Wenn die Vertraulichkeitserwartung bereits bei der Verwendung einer WhatsApp-Gruppe abgelehnt werden kann, kann diese beim Sylt-Video nur schwer hineininterpretiert werden. Schließlich befanden sich alle Beteiligten im öffentlichen Raum. Da viele von ihnen direkt in die Kamera schauten, wäre eine Unkenntnis der Aufnahme und der darauffolgenden Verbreitung zu verneinen sein.
Sylt-Video ist kein Einzelfall
Über die Wirksamkeit einer Kündigung wegen rechtspolitischen Auftretens einer Arbeitnehmerin muss aktuell das Arbeitsgericht Köln entscheiden (ArbG Köln, Beschluss vom 29.05.2024 - 17 Ca 543/24). In diesem Fall kündigte die Stadt Köln einer Arbeitnehmerin, weil diese einem rechtsextremen Treffen beigewohnt hatte, dessen Gegenstand die Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung war. Die Arbeitnehmerin legte daraufhin eine Kündigungsschutzklage ein. Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass die Arbeitnehmerin aufgrund ihrer langen Dienstzeit nicht ordentlich kündbar ist. Da die Stadt Köln allerdings in der Teilnahme an der Veranstaltung eine Treuepflichtverletzung der Arbeitnehmerin sah, wurden mehrere Verdachts- und Tatkündigungen ausgesprochen. Die Arbeitnehmerin berief sich darauf, den Veranstaltungsinhalt nicht gekannt zu haben.
Wie es in der Praxis oft vorkommt, könnte die arbeitsrechtliche Streitigkeit durch einen Vergleich beigelegt werden, der eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsieht. Sollten sich die Parteien nicht auf diesen Vergleich einigen, wird das Arbeitsgericht eine Entscheidung treffen.
Trotz alledem: Vorsicht ist geboten
Außerberufliches Verhalten wird gerichtlich nicht immer als wirksamen Kündigungsgrund bewertet. Ein solcher Kündigungsgrund bedeutet einen Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers, welcher nicht in allen Fällen gerechtfertigt ist. Allerdings muss ein Arbeitgeber rassistische Äußerungen seiner Arbeitnehmer nicht dulden. In solchen Situationen bietet es sich an, zunächst eine Anhörung des Arbeitnehmers und eine Freistellung zu veranlassen. Ein solches Vorgehen ermöglicht dem Arbeitgeber, die Situation umfassend beurteilen zu können.