Die Kündigung gibt es jetzt auch Blanko

Welche Kündigungsgründe müssen in der Kündigung erklärt werden?

Veröffentlicht am: 02.08.2021
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Welche Kündigungsgründe müssen in der Kündigung erklärt werden?

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Christian Westermann, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht 

Es ist allgemein anerkannt, dass bei der Kündigung eines Arbeitsvertrags im Kündigungsschreiben selbst keine Angaben zu den Gründen für die Kündigung gemacht werden müssen. Die Kündigungsgründe können auch erst später im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses genannt und dargelegt werden.

Welche Gründe müssen in Kündigung genannt sein? 

Gerade bei einer fristlosen Kündigung stellt sich dabei immer wieder die Frage in welchem Umfang es möglich ist, Kündigungsgründe in das Kündigungsschutzverfahren nachzuschieben, die bei Zugang der außerordentlichen Kündigung zwar objektiv bereits vorlagen, dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung aber noch nicht bekannt waren.

Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht in einem Beschluss vom 12.01.2021 (Az.: 2 AZN 724/20) jetzt in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass eine Kündigung grundsätzlich sogar „blanko“ erklärt werden kann.

Missstände in der Klinik: Chefarzt wurde fristlos gekündigt

Der Kläger in dem entschiedenen Verfahren war Chefarzt einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Das Arbeitsverhältnis des Klägers konnte gemäß Arbeitsvertrag nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Die beklagte Klinik hatte das Arbeitsverhältnis im Juni 2018 außerordentlich gekündigt und diese Kündigung auf eine angebliche Tätlichkeit des Klägers gegenüber einer Mitarbeiterin gestützt. Dieser Vorfall sollte sich bereits im Jahr 2015 ereignet haben, war der Beklagten nach ihrem Vortrag jedoch erst am 20.06.2018 bekannt geworden.

Es lag jedoch noch mehr im Argen: Nachträgliche Kündigungsgründe

Es gab verschiedene Vorwürfe hinsichtlich der Leitung der Klinik durch den Kläger, die dazu geführt hatten, dass der Beklagten im Mai 2018 der Status eines universitären Lehrkrankenhauses entzogen worden war. Die beklagte Klinik gab daraufhin ein Gutachten über verschiedene Fragestellungen zur Behandlung von Patienten in Auftrag.

Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens schob die Beklagte dann weitere Kündigungsgründe in den Rechtsstreit nach. Dabei handelte es sich um Vorwürfe der vorsätzlich fehlerhaften Abrechnung von Behandlungen, der Fehlbehandlung von Patienten aufgrund struktureller Missstände und einen Fall eines Vertrauensbruchs gegenüber dem Familiengericht.

Kündigungsschutzklage des Arztes erfolglos

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Chefarztes erstinstanzlich abgewiesen und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die außerordentliche fristlose Kündigung bestätigt.

Das Landesarbeitsgericht hielt es nach der Beweisaufnahme für erwiesen, dass der Kläger in zwei Fällen Medikamente verordnet hatte, obwohl hierfür weder eine Aufklärung noch eine Einwilligung vorlag. In einem anderen Fall habe der Kläger einen Patienten in freiheitsentziehender Weise in einem sogenannten Time Out-Raum untergebracht, obwohl die hierfür erforderliche familiengerichtliche Genehmigung nicht vorlag. Den Vorwurf der fehlerhaften Abrechnung sah das Landesarbeitsgericht als nicht erwiesen an.

Hinsichtlich des ursprünglich vorgebrachten Kündigungsgrundes – der Tätlichkeit gegenüber einer Mitarbeiterin – war die Beklagte beweisfällig geblieben, weil diese Mitarbeiterin als Zeugin beigebracht werden konnte.

Fristlose Kündigung gerechtfertigt

Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger damit seine Pflichten aus den ärztlichen Behandlungsverträgen verletzt habe und die beklagte Klinik dem Risiko von Schadensersatzforderungen der Patienten ausgesetzt habe. Der Kläger habe als Chefarzt die Gesamtverantwortung getragen und hier letztendlich gegenüber den betroffenen Patienten Freiheitsberaubung bzw. Körperverletzung begangen.

Diese Vorwürfe seien so schwerwiegend, dass sie auch bei einem langjährigen Arbeitsverhältnis eine fristlose Kündigung rechtfertigten. Zudem sei das Verhalten des Klägers geeignet gewesen, ein negatives Bild von der Klinik insgesamt erzeugen, weil der Eindruck erweckt werden könne, bei der Beklagten werde nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt.

Kündigungsgründe durften nachgeschoben werden

Nach der verlorenen Berufung wollte der Kläger beim Bundesarbeitsgericht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision erreichen.

Der Kläger hat zur Begründung insbesondere ausgeführt, die beklagte Klinik habe den ursprünglichen Kündigungsgrund (Vorwurf einer Tätlichkeit) vollständig ausgewechselt, was nicht zulässig sei. Dem hat das Bundesarbeitsgericht jedoch eine Absage erteilt:

Für das Nachschieben von Kündigungsgründen, die bei Ausspruch der außerordentlichen Kündigung objektiv bereits vorlagen, gebe es keine sachlichen oder zeitlichen Schranken. Ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen den bei der Kündigung des Arbeitsvertrags schon bekannten und den erst nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründen sei nicht erforderlich.

Eine Kündigung habe grundsätzlich nur den Inhalt, dass sie das Arbeitsverhältnis auflösen soll. Die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, seine nicht integraler Bestandteil der Kündigung. Die Kündigung könne grundsätzlich sogar „blanko“ erklärt werden, in der Hoffnung es werde sich im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits noch ein Kündigungsgrund finden.

Fazit: Strategische Kündigung durch Arbeitgeber möglich?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Beispiel dafür, dass eine Kündigung durchaus auch strategisch eingesetzt werden kann: Der Arbeitnehmer muss sich grundsätzlich nämlich auch gegen eine offenkundig unwirksame Kündigung rechtzeitig gerichtlich zur Wehr setzen und innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben.

Der Arbeitgeber darf insoweit sowohl darauf spekulieren, dass die Klagefrist nicht eingehalten wird oder dass sich in der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht ein passabler Abfindungsvergleich schließen lässt, um einen unliebsam gewordenen Mitarbeiter „loszuwerden“.