Erbscheinsantrag bei unbekannten Erben

Ermittlung kann Aufgabe des Nachlassgerichts sein

Wenn Erben nach dem Erbfall nicht ausfindig gemacht werden, stehen sowohl Miterben als auch Gläubiger von Forderungen gegen den Nachlass häufig vor einem Problem. Der BGH hat sich in einem aktuellen Entschluss dazu geäußert, inwiefern das Nachlassgericht zu Nachforschungen verpflichtet ist.

Veröffentlicht am: 24.03.2023
Qualifikation: Rechtsanwältin für Erbrecht in Hamburg
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Gerade wenn die Erben eines Verstorbenen unbekannt sind, kann ein Gläubiger, der beim Tod des Erblassers noch Zahlungsansprüche gegen diesen hatten, einen Erbschein beantragen. Denn solange nicht feststeht, wer Erbe des verstorbenen Schuldners geworden ist, kann eine Forderung nicht durchgesetzt werden. Der Bundesgerichtshof äußert sich in einem aktuellen Beschluss vom 8. Februar 2023 (IV ZB 16/22) zu der Frage, inwiefern das Nachlassgericht verpflichtet ist, unbekannte Erben ausfindig zu machen.

Existenz und Aufenthalt unehelicher Tochter unklar

Der Erblasser war im September 2009 von einem niederländischen Gericht zur Zahlung von 416.354,15 Euro an die spätere Antragstellerin verurteilt worden. Kurze Zeit später, noch im selben Jahr, verstarb der Erblasser und hinterließ einen überschuldeten Nachlass.

Die Ehefrau und die Tochter aus dieser Ehe schlugen die Erbschaft aus. Bei der Ausschlagung hatten diese angegeben, dass es wohl noch eine uneheliche, im Ausland lebende Tochter gebe, von der weder der Nachname noch ein Aufenthaltsort bekannt sei. Diese wurde allerdings nicht ausfindig gemacht, stattdessen wurde ein Nachlassinsolvenzverfahren durchgeführt und nach der Schlussverteilung aufgehoben.

Vollstreckungstitel brachte Gläubigerin nicht weiter

Im Jahr 2011 bewirkte die Gläubigerin der Forderung in Höhe der knapp 500.000 Euro einen Vollstreckungstitel in Deutschland. Schuldner waren allerdings „die unbekannten Erben des Erblassers“ sodass sie mit dem Vollstreckungstitel zunächst wenig anfangen konnte. Die Gläubigerin der Forderung beantragte daher einen Erbschein unter anderem hilfsweise zugunsten der unehelichen Tochter, deren vollständiger Name und Aufenthaltsort unbekannt war.

Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag der Gläubigerin als unzulässig zurück. Es sei nicht zulässig, nur einen Vornamen des potenziellen Erben beim Erbscheinsantrag anzugeben. Zudem habe sie keine Beweise dafür vorlegen können, dass die uneheliche Tochter tatsächlich existiere. Auch die eingelegte Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main blieb erfolglos.

BGH stellt Amtsermittlungspflicht in den Fokus

Die Gläubigerin führte den Rechtsstreit weiter bis zum Bundesgerichtshof und dieser gab ihr zumindest insofern recht, als das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag nicht wegen der fehlenden Informationen und Beweismittel zur potenziellen Erbin hätte als unzulässig abweisen durfte. Das Nachlassgericht sei seinen Pflichten zur Amtsermittlung nicht ausreichend nachgekommen.

Anders als bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit gilt beim Erbscheinsverfahren der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. Dieser besagt, dass das Nachlassgericht grundsätzlich von Amts wegen alle für den Erbschein maßgeblichen Umstände, also im Erbscheinsverfahren insbesondere die notwendigen Daten von möglichen Erben von Amts wegen ermitteln muss. In diesem Grundsatz unterscheidet sich das Erbscheinsverfahren als Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit erheblich von den Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Bei diesen gilt nämlich der sogenannte Beibringungsgrundsatz. Dieser Verfahrensgrundsatz besagt, dass ein Gericht seine Entscheidung nur auf solche Tatsachen stützen darf, welche von den Parteien selbst vorgetragen und zudem auch ausreichend bewiesen sind.

Mitwirkungspflicht umfasst nicht die Einschaltung eines Erbenermittlers

Der BGH betont trotzdem, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch nicht so zu verstehen sei, dass vom Nachlassgericht allein sämtliche Tatsachen und Beweise zu ermitteln sind. Den Antragsteller des Erbscheins trifft trotz Amtsermittlungsgrundsatz eine Mitwirkungspflicht. Demnach müssen Antragsteller und weitere Beteiligte im Erbscheinsverfahren durch Angabe von Tatsachen und Beweisen die gerichtliche Aufklärung ermöglichen, soweit sie dazu in der Lage sind. Maßstab ist immer, ob die jeweilige Mitwirkung durch Angabe von Beweisen und Tatsachen dem Beteiligten zumutbar ist. Der BGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es einem Antragssteller im Erbscheinsverfahren zumindest nicht zumutbar sei, kostenpflichtig einen Erbenermittler oder Privatdetektiv einzuschalten. Welche Maßnahmen dem Antragssteller konkret zumutbar seien, hänge insbesondere von der Nähe des Antragstellers zum unbekannten Erben ab.

Auch bei vermissten Miterben relevant

Der Entschluss des Bundesgerichtshofs dürfte in erster Linie solche Gläubiger freuen, die nicht wissen, an wen sie sich nach dem Tod ihres Schuldners halten sollen, weil Erben noch nicht ermittelt sind. In unserer Anwaltspraxis erleben wir auch immer wieder Fälle, in denen den Erben der Aufenthaltsort und jegliche Kontaktdaten ihrer Miterben unbekannt sind. Dies ist deshalb für Erben besonders ärgerlich und problematisch, da sie ohne Mitwirkung der übrigen Miterben den Nachlass nicht auseinandersetzen und auch nur sehr eingeschränkt verwalten können. Mit dem Entschluss des Bundesgerichtshofs können solche Erben bei der Ermittlung der Miterben im Rahmen des Erbscheinsverfahrens jetzt auf Unterstützung des Nachlassgerichts hoffen. Wie intensiv die Nachlassgerichte tatsächlich nach verschollenen Erben suchen werden, bleibt abzuwarten.