Im Testament nicht bedacht - trotzdem Erbe!

Wann ist eine Enterbung durch Vermächtnisse gewollt?

Veröffentlicht am: 22.05.2020
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Wann ist eine Enterbung durch Vermächtnisse gewollt?

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Kolja Schlecht, LL.M., Fachanwalt für Erbrecht

In einem vom Oberlandegericht München jüngst entschieden Fall (Beschluss v. 19.02.2020 – Az. 31 Wx 231/17) wurde eine testamentarisch nicht benannte Adoptivtochter des Verstorbenen gleichwohl als dessen gesetzliche Alleinerbin angesehen.

Das Oberlandesgericht München hatte als Beschwerdeinstanz die gegenläufige Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und entschieden, dass die nicht im Testament erwähnte Adoptivtochter des Erblassers aufgrund der gesetzlichen Erbfolge als einziger Abkömmling Alleinerbin ist.

Testament sieht lediglich Vermächtnisse vor

In dem über mindestens vier Jahre dauernden Verfahren auf Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses ging es darum, dass ein verwitweter Erblasser, der nach dem Ableben seiner Ehefrau deren Nichte als Erwachsene adoptierte, in seinem späteren Testament ausschließlich Vermächtnisse im Wert von ca. EUR 700.000 zu Gunsten seiner eigenen Geschwister, einer Freundin und des Sohnes seiner Adoptivtochter angeordnet hatte. Diese Vermächtnisse waren auf die Übertragung diverser im In- und Ausland belegener  Grundstücke und Immobilien und Teile seines Anlage-/Geldvermögens an die Begünstigten gerichtet.

Der Erblasser hatte testamentarisch jedoch weder die Adoptivtochter noch eine andere Person als Erben bestimmt. Auch hatte er keine Bestimmungen oder Zuweisungen über seinen übrigen Nachlass im Wert von ca. EUR 354.000 (ca. 1/3 des Nachlasses) vorgenommen.

Das Erbrecht braucht zwingend einen (oder mehrere) Erben

Eine Erbschaft ohne Erben und ohne Rechtsnachfolger ist nach dem deutschen Erbrecht nicht möglich. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geht mit dem Tod einer Person deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere Personen (Erben) als Rechtsnachfolger des Erblassers über, § 1922 BGB.

Im Rahmen der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit ist man – sofern nicht zum Beispiel durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament gebunden - vom Grundsatz her frei, über seine Erbfolge zu bestimmen, das heißt, seine Erben selbst zu wählen. Wenn eine testamentarische Erbeinsetzung nicht erfolgt ist, werden die Erben im Wege der gesetzlichen Erbfolge bestimmt.

Unterschied: Erbe oder Vermächtnisnehmer

Mit Vermächtnissen weist der Erblasser bestimmte Gegenstände oder Rechte einzelnen oder mehreren Personen zu. Die Vermächtnisnehmer werden keine Rechtsnachfolger des Erblassers, sondern erhalten einen Anspruch gegen den oder die Erben auf Vermächtniserfüllung.

Setzt ein Erblasser in einem Testament lediglich Vermächtnisse aus und bestimmt nichts dazu, wer Erbe sein soll, kommt es für die Frage, wer tatsächlich Rechtsnachfolger des Erblassers ist und ob gegebenenfalls eine Enterbung gewollt war, darauf an, was der tatsächliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserstellung gewesen ist.

Unklare Anordnungen müssen ausgelegt werden

Die Unterschiede zwischen „erben“ und „vermachen“ sind weiten Teilen der Allgemeinheit nicht bekannt, weswegen gerade in handschriftlichen Testamenten die verwendeten Begrifflichkeiten oft verwechselt werden. Nicht selten finden sich in Testamenten Bestimmungen wie:„ Mein Auto vererbe ich meiner Tochter“ oder „meinen gesamten Besitz vermache ich meinem Sohn“.

In solchen von den erbrechtlichen Begriffen abweichenden Fällen müssen die Erbeinsetzung und der tatsächliche Wille aufgrund der von dem Erblasser getroffenen Anordnungen im Wege der sogenannten Auslegung erfolgen.

Vermächtnisse über nahezu gesamtes Vermögen kann Erbeinsetzung sein

Im Rahmen der Auslegung von Testamenten ist regelmäßig anzunehmen, dass der Testierende tatsächlich eine Erbeinsetzung bezweckt, wenn er praktisch sein ganzes Vermögen an die bedachten Personen aufgeteilt hat, da nicht angenommen werden kann, dass er überhaupt keinen Erben berufen wollte.

In Einzelfällen kann auch schon die Zuwendung eines Gegenstandes Erbeinsetzung sein, wenn entweder der Nachlass dadurch erschöpft wird oder wenn sein objektiver Wert das übrige Vermögen so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn offensichtlich als wesentlichen Nachlass angesehen hat.

Nichterwähnung der Adoptivtochter muss keine Enterbung sein

Die Geschwister und die Freundin des Erblassers als auch das Amtsgericht vertraten die Auffassung, dass der Erblasser mit den Vermächtnissen über nahezu sein gesamtes Vermögen verfügen und die Adoptivtochter enterben wollte.

Das Oberlandesgericht teilte diese Ansicht jedoch nicht und war nicht davon überzeugt, dass der Erblasser in dem Testament die darin Bedachten zu seinen Rechtsnachfolgern in wirtschaftlicher Hinsicht bestimmt hatte, da ein solcher Wille des Erblassers in dem Testament nicht angedeutet sei.

Auch hatte der Erblasser nicht über sein Vermögen als Ganzes verfügt. Unter anderem hatte der Verstorbenen in seinem Testament eine der angegebenen Immobilien nicht einer Person zugeordnet, sondern hinter der Immobilienbezeichnung ein Fragezeichen gesetzt. Die Person des Bedachten hatte der Erblasser somit offengelassen und nach Ansicht des OLG insofern bewusst eine Testierung unterlassen. Der Testierwille war somit gerade nicht darauf gerichtet, umfassend und abschließend über sein Vermögen als Ganzes letztwillig zu verfügen.

Vorstellung des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserstellung

Das Gericht ging davon aus, dass sich der Erblasser im Zeitpunkt der Testierung sehr wohl bewusst war, dass er neben den Immobilien weiteres Vermögen besaß und er insoweit bewusst keine Bestimmung der Person des Bedachten treffen wollte.

Vielmehr sah es das OLG als naheliegend an, dass nur diese Zuwendungen von Einzelgegenständen gewollt war, nicht hingegen eine Regelung der Erbeinsetzung einer Person als seinen Rechtsnachfolger. Somit hatte der Erblasser im Rahmen seiner Testierung seine letztwilligen Verfügungen objekt- und nicht personenbezogen getroffen.In dieser Zuwendung der Einzelgegenstände war mithin keine Erbeinsetzung auf Bruchteile entsprechend dem Wert des Gegenstandes im Verhältnis zum Gesamtvermögen zu erkennen.

Dass die Adoptivtochter in der letztwilligen Verfügung namentlich nicht erwähnt wurde, sah das Oberlandesgericht München jedoch nicht als mit einer Enterbung gleichbedeutend an.

Aus diesem Grund trat mangels Anordnung der Erbfolge nach dem Erblasser die gesetzliche Erbfolge ein, so dass die Adoptivtochter als dessen Abkömmling gemäß § 1924 Abs. 1 BGB seine Alleinerbin ist. Diese hat nun die ausgebrachten Vermächtnisse zu erfüllen.

Tipp: Klare testamentarische Anordnungen!

Wer seinen Hinterbliebenen jahrelange streitige Auseinandersetzungen und unsichere Auslegungsergebnisse von Gereichten ersparen will, muss in seinem letzten Willen (Testament/Erbvertrag) klar und deutlich festlegen, wer Erbe sein und wer welche Vermächtnisse erhalten soll.

In diesem Zusammenhang ist es zudem immer anzuraten, sich über hieraus sich ergebende Konstellationen und Entwicklungen Gedanken zu machen und entsprechende Bestimmungen aufzunehmen (zum Beispiel zu Ersatzerben, Ersatzvermächtnisnehmern, Kosten der Vermächtniserfüllung sowie zu der Frage, was geschieht, wenn der Vermächtnisgegenstand nicht mehr vorhanden ist, etc.).