Kinder vor Gericht

Voraussetzung der Kindesrückführung

Ein Elternstreit um die Rückführung gemeinsamer Kinder führte bis vor den EGMR. Dieser entschied nun, wie die Gerichte zukünftig das Kindeswohl im Rahmen eines Rückführungsantrags berücksichtigen sollen.

Veröffentlicht am: 30.09.2025
Qualifikation: Rechtsanwältin
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Entzieht ein Elternteil dem anderen das gemeinsame Kind und bringt es sogar ins Ausland, wirft dies nicht nur zahlreiche moralische, sondern auch rechtliche Fragen auf. Für ein Verfahren bezüglich der Rückführung des Kindes greift zwischen Vertragsstaaten das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ). Auch Deutschland ist Vertragsstaat. Sofern das gemeinsame Sorgerecht besteht und der andere Elternteil dem Umzug des Kindes nicht zustimmt und wurde das Kind widerrechtlich ins Ausland verbracht, dann ist eine Rückführung denkbar. Ob es zu einer solchen Rückführung im Falle einer Kindesentführung tatsächlich kommt, haben die Gerichte an Hand einer Abwägung des Einzelfalls zu entscheiden. Bislang war allerdings nicht abschließend geklärt, welche Beweismittel heranzuziehen sind. In einem aktuellen Verfahren äußert sich hierzu nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Urteil vom 09.09.2025 – 2068/24).

Zwischen USA und Griechenland

Ein griechischstämmiges Ehepaar brachte zwischen 2015 und 2018 zwei Kinder in den USA zur Welt. Ab dem Jahr 2018 kriselte es zunehmend zwischen den Eheleuten. Im Jahr 2020 reiste die Mutter mit den gemeinsamen Kindern daraufhin für mehrere Monate nach Griechenland. Der Vater hatte dieser Reise seiner Kinder damals noch notariell zugestimmt. Geplant war allerdings, dass die Kinder bald wieder in die USA zurückkehren sollten. Dies geschah jedoch nicht. Zunächst solle es an der Corona-Pandemie gelegen haben, weshalb eine Rückkehr erst für Mai 2021 vorgesehen war. Dann aber fand die gebürtige Griechin im März 2021 eine Stelle als Psychologin auf Rhodos und kehre nicht mehr zurück.

Daraufhin leitete der Vater ein Verfahren wegen internationaler Kindesentführung ein und beantragte die Rückführung der Kinder in die USA. Erst in zweiter Instanz wurde diesem Antrag stattgegeben. Die Mutter wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Integriert oder nicht integriert

Die Mutter berief sich in ihrem Vortrag vor dem EGMR auf das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens aus Artikel 8 der Europäische Menschenrechtskonvention. Das zweitinstanzliche Gericht habe nicht hinreichend geprüft, ob der Rückführung Interessen der Kinder entgegenstehen. Insbesondere sei zu berücksichtigen gewesen, ob die Kinder auf Rhodos bereits so integriert seien, dass eine Rückführung für sie eine „schwere Gefahr“ darstellen würde.

Der EMRG führte in seiner Entscheidung zunächst aus, dass sich die Zulässigkeit einer Kindesrückführung nach dem Haager Kindesentführungsabkommen (HKÜ) richtet. Danach ist ein Staat nicht zur Rückführung verpflichtet, wenn diese nachweislich eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind bedeuten würde. Zur Beurteilung dieser Gefahr habe das zweitinstanzliche Gericht zwar eidesstattliche Erklärungen, psychologische Gutachten und Zeugenaussagen berücksichtigt, jedoch seien die Kinder selbst nicht angehört worden. Eine solche Anhörung sei regelmäßig erforderlich, um sich ein hinreichendes Bild von den persönlichen Umständen und den möglichen Folgen einer Rückführung zu machen. Da diese Anhörung in dem Verfahren der griechischstämmigen US-Amerikaner allerdings ausblieb, könne auch keine „schwerwiegende Gefahr“ begründet sein.

Richtlinie für Gerichte

Aus der Entscheidung des EGMR ist nicht abzuleiten, dass in jedem Verfahren wegen Kindesentführung zwingend eine Anhörung der Kinder erfolgen muss. Vielmehr sollen die Gerichte von Amts wegen prüfen, ob eine Anhörung der Kinder im jeweiligen Einzelfall sinnvoll und zumutbar ist.

Verfahren dieser Art sollten nicht unterschätzt werden. Im Zusammenhang mit einer Kindesentführung stellen sich nicht nur zivilrechtliche Fragen, insbesondere zum Sorgerecht, in aller Regel ist nach deutschem Recht auch die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens denkbar. Die Kindesentziehung ist nach § 235 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Angesichts der Vielschichtigkeit solcher Verfahren und der zusätzlichen Schwierigkeiten, die sich bei internationalen Bezügen ergeben, ist es daher dringend anzuraten, sich bei allen Schritten durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.