Künast-Urteil zu Hass-Kommentaren bei Facebook

Ergebnis: Vollumfängliche Auskunftsansprüche gegen Facebook

Hass-Kommentare gehören bei Facebook, Instagram, TikTok & Co. bereits zur Tagesordnung. Aber auch im Rahmen von Social-Media-Kommentaren müssen sich Betroffene nicht jegliche Beleidigungen gefallen lassen. Wie der BGH im Fall Renate Künast entschieden hat, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Veröffentlicht am: 14.11.2022
Qualifikation: Rechtsanwältin in Hamburg
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Renate Künast ist häufiges Ziel anonymer Hassrede im Internet. Nun erstritt sie vor wenigen Tagen vor dem Berliner Kammergericht einen vollumfänglichen Erfolg: Die Richter verpflichten Facebook zur Herausgabe der Nutzerdaten (IP-Adresse, Name etc.) aller 22 Kommentatoren, deren rechtliche Belangung Künast seit Jahren anstrebt. Mit den Daten kann Künast nun gezielt gegen die Nutzer vorgehen (Beschl. v. 31.10.2022, Az. 10 W 13/20).

Rechtsextremist postete Falschzitat von Künast auf Facebook

Rund drei Jahre hatte die Grünen-Politikerin für die Herausgabe der Daten durch Facebook gestritten. Die 22 Nutzer hatten auf ein von einem bekannten Rechtsextremisten gepostetes und Künast zugeschriebenes Falschzitat mit diversen Beschimpfungen und Drohungen gegen die Politikerin reagiert. Hierbei ging es um einen Ausruf der Politikerin im Rahmen einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus zu den Themen häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch im Jahre 1986.

Diese Aussage Künasts, die nach eigener Aussage missverstanden worden sei, wurde von dem erwähnten Blogger 30 Jahre später im Jahr 2016 aufgegriffen, verändert und neben einem Bild der Politikerin als Zitat auf Facebook gepostet.

Anonymität der Kommentatoren erschwert die Anspruchsdurchsetzung

Was folgte, waren wüste Beschimpfungen und Bedrohungen durch zahlreiche Follower des Bloggers – viele der Kommentare waren strafrechtlich relevant. Aber: Die Schreiber waren anonym. Künast konnte also nicht ohne weiteres gerichtlich gegen die Absender vorgehen.

Anbieter von Telemedien müssen Nutzerdaten herausgeben

Laut dem Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG) hat ein Anbieter von Telemedien (hier: Facebook) Nutzerdaten herauszugeben, wenn dies zur Durchsetzung bestimmter Ansprüche erforderlich ist. Dazu zählen etwa Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche wegen Beleidigung oder Verleumdung.

2019 stellte Künast einen Antrag auf Auskunftserteilung über 22 der Kommentatoren-Namen beim Landgericht Berlin. Die Richter wiesen den Antrag zunächst zurück. Künast habe mit ihrem Zwischenruf Widerstand aus der Bevölkerung provoziert und müsse als Politikerin in besonderem Maße kritikfähig sein. Die Facebook-Kommentare seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, da sie im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung stünden. Sie stellten mithin keine Beleidigungen im rechtlichen Sinn dar.

Wann ist eine Äußerung rechtlich eine Beleidigung iSd § 185 StGB?

Für die Bewertung einer Aussage als Beleidigung bedarf es einer richterlichen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht (hier: dem Ehrschutz) des Betroffenen im Einzelfall. Überwiegt die Meinungsfreiheit, so kann es sich auch bei einer verbalen Entgleisung um eine rechtlich erlaubte Meinungsäußerung handeln. Wiegt hingegen der Schutz der Ehre schwerer, so handelt es sich bei der Äußerung um eine Beleidigung im Sinne des § 185 Strafgesetzbuch (StGB).

Keine Abwägung bei Schmähkritik, Formalbeleidigung & Verletzung der Menschenwürde

Grundsätzlich entbehrlich ist eine Abwägung jedoch, wenn bei einer Aussage nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern nur noch die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Hier tritt die Meinungsfreiheit hinter den Ehrschutz zurück.

Auch mit Bedacht gewählte, besonders herabwürdigende Formulierungen können die Meinungsfreiheit zurücktreten lassen – und das Absprechen der menschlichen Würde des Betroffenen.

BVerfG: Abwägung zwischen Meinungsfreiheit & Persönlichkeitsrecht erforderlich

Auf die erweitere Beschwerde Künasts hin stufte das Landgericht in einem nächsten Beschluss sechs der in Rede stehenden Kommentare als Beleidigungen ein und verfügte eine Auskunftsanordnung bezüglich der jeweiligen Autoren. Die Politikerin legte daraufhin erneut Beschwerde ein und erwirkte bei dem nun zuständigen Berliner Kammergericht eine zusätzliche Auskunftsanordnung über sechs weitere Kommentatoren.

Hiernach erhob Künast Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dieses bescheinigte den Berliner Gerichten bezüglich der nicht im Vorhinein als Beleidigung klassifizierbaren Äußerungen die erforderliche Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht unterlassen zu haben und verwies zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurück.

Erneuter Beschluss: Auskunftsanspruch gegenüber allen 22 Facebook-Nutzern

In dieser Entscheidung verpflichteten die Richter Facebook nun zur Datenauskunft über die restlichen zehn Kommentatoren. Nach der rund 3 Jahre währenden Auseinandersetzung konnte Künast damit einen vollumfänglichen Erfolg verbuchen. Hiermit dürfte sie gemeinsam mit der Organisation HateAid einen bedeutenden Sieg im Kampf gegen Hasskommentare im Internet errungen haben, der auch anderen hiervon betroffenen Personen zugutekommen wird.

Neben PolitikerInnen sind auch andere Personen des öffentlichen Lebens, aber auch Privatpersonen und Unternehmen immer wieder Opfer von regelrechten Hasswellen in Social-Media. Dies kann für die betroffenen Menschen sehr traumatisierend und für betroffene Unternehmen geschäftsschädigend sein. Gerade, wenn sogar die Schwellen der strafrechtlichen Relevanz überschritten werden, ist es unerlässlich, den betroffenen den Zugang zu Rechtsschutz zu ermöglichen. In der Anonymität des Internets müssen die Plattformen daher in die Pflicht genommen werden und die Daten herausgeben. Nur so kann gewährleistet sein, dass beleidigenden Kommentaren, die der gebotenen Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nicht standhalten, überhaupt strafrechtliche Konsequenzen, im Rahmen des Medienstrafrechts, folgen können.