Bestellung einmal anders: Wenn der Aufsichtsrat den Aufsichtsrat bestellt

Ein Lehrstück für die Instrumentalisierung der Gerichte bei Übernahmen?!

Veröffentlicht am: 03.02.2022
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Ein Lehrstück für die Instrumentalisierung der Gerichte bei Übernahmen?!

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Ronny Jänig, LL.M. (Durham), Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Berlin

Treten Mitglieder des Aufsichtsrates zurück oder fehlen sie schlichtweg, wird der Aufsichtsrat häufig handlungsunfähig. Besonders misslich ist dies, wenn der Aufsichtsrat wichtige Entscheidungen im Interesse der AG oder Aktionäre zu treffen hat. Wie dies verhindert werden kann, macht eine Entscheidung des OLG Frankfurt am Main noch einmal handgreiflich.

Bestellung des Aufsichtsrats durch das Gericht (§ 104 AktG)

Grundsätzlich wird der Aufsichtsrat von den Aktionären bestellt (gewählt). Neben der Entsendung durch einzelne Aktionäre, benennt § 104 AktG weitere Ausnahmen von diesem Grundsatz. So kann das Gericht nach § 104 AktG Mitglieder des Aufsichtsrates bestimmen, wenn länger als drei Monate weniger Aufsichtsratsmitglieder vorhanden sind, als Gesetz oder auch Satzung dies vorsehen. In dringenden Fällen kann dies auch schon vor Ablauf der Dreimonatsfrist erfolgen. Doch wann ist dringend und vor allem, wer kann bei Gericht die Bestellung beantragen?

Antragstellung durch Aufsichtsrat, Vorstand und einzelne Aktionäre

Im Fall des OLG Frankfurt am Main waren auf einer außerordentlichen Hauptversammlung einer börsennotierten Bank waren Anfang Dezember 2021 drei Mitglieder des Aufsichtsrates abgewählt worden. Der Aufsichtsrat war drittelparitätisch mitbestimmt nach dem DrittelbG: 8 Anteilseignervertreter und 4 Arbeitnehmervertreter. Eine Minderheitsaktionärin hatte für die Neuwahl drei Mitglieder vorgeschlagen. Diese konnten jedoch keine Mehrheit der Aktionäre auf sich vereinen.  Der Aufsichtsrat der Gesellschaft bestand damit nur aus neun, anstelle der von der Satzung vorgesehenen 12 Personen.

Das Problem war vorliegend, dass diese missliche Situation während eines laufenden Übernahmeangebots entstand; in einer Situation also, in welcher dem Aufsichtsrat als Vertreter der Aktionäre und als Berater des Vorstandes eine besondere Rolle zukam (Video: Aufgaben des Aufsichtsrates). Trotzdem der Aufsichtsrat nicht handlungs- und nicht beschlussunfähig war, stellte der Aufsichtsratsvorsitzende beim Amtsgericht Wiesbaden den Antrag, drei von ihm konkret benannte Personen als Nachfolger für die von der Hauptversammlung abgewählten Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen. Die Minderheitsaktionärin folgte dem, beantragte jedoch die gerichtliche Bestellung von drei anderen konkret benannten Personen. Den Antrag formal stellen konnten beide - das Gesetz erlaubt dem Vorstand, einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern und einzelnen Aktionären die Antragstellung.

Das Amtsgericht wies jedoch beide Anträge zurück – die Dreimonatsfrist sei noch nicht abgelaufen und es liege keine besondere Dringlichkeit für die Bestellung vor.

Dringlichkeit der Bestellung wegen Übernahmesituation?

Die Dringlichkeit konnte vorliegend tatsächlich in Frage stehen, da der Aufsichtsrat zwar nicht voll besetzt war, jedoch weiterhin beschlussfähig und damit handlungsfähig war. Das OLG Frankfurt am Main folgte indes der Fachliteratur, die eine Übernahmesituation als dringenden Fall einer gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ansieht.

Warum ein mit 9 Personen besetzter Aufsichtsrat den Vorstand nicht ordentlich beraten und überwachen soll können, erschließt sich für den Autor nicht unmittelbar. Überzeugen kann indes das Argument, dass der Aufsichtsrat nicht mehr im normalen Verhältnis der ihn repräsentierenden Gruppen von Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern besetzt war – die Interessen der Aktionäre waren in der für die AG wichtigen Situationen tatsächlich unterrepräsentiert.

Welche Personen darf oder muss das Gericht für den Aufsichtsrat auswählen?

Spannend war dann noch die Frage, welche Personen das Gericht wählen würde: Die vom Aufsichtsratsvorsitzenden benannten Personen oder die von der Minderheitsaktionärin benannten Personen? Das OLG Frankfurt am Main entschied sich für die ersteren. Die von der Minderheitsaktionärin benannten Personen seien von der Mehrheit der Aktionäre in der Hauptversammlung abgelehnt worden, sie sollten daher eher nicht bestellt werden ….

Gerichtliche Bestellung - taktisches Mittel im Streit unter Aktionären, Aufsichtsrat und Vorstand?

Bei genauerem Hinsehen führt die Entscheidung auch noch einmal vor Augen, dass einerseits die Abberufung bzw. die Nicht-Neubestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates und andererseits die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern Mittel und Wege im Aktionärsstreit oder im Streit mit Vorstand oder Aufsichtsrat sind. Oft vergessen wird zudem, dass Stimmverbote den Weg für Minderheitsaktionäre und deren Interessen ebenen (können).

Wer als Aktionär, Vorstand oder Aufsichtsrat in eine Auseinandersetzung mit Mitgliedern der „anderen Seite“ geht, sollte seine Rechte und Möglichkeiten vorab kennen.

 

Weiterführend zum Thema unser YOUTUBE-Video Aufsichtsrat (Rechte, Pflichten, Aufgaben).