EU-Kommission verklagt AstraZeneca

Impfstoffhersteller nun auf der Richterbank

Veröffentlicht am: 29.04.2021
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Impfstoffhersteller nun auf der Richterbank

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Boris Jan Schiemzik, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht (Hamburg)

Die EU fordert von dem britisch-schwedischen Impfstofflieferanten AstraZeneca seit Monaten die Einhaltung der Verträge. Allerdings stoßen die Forderungen der EU-Kommission beim Impfstofflieferanten auf taube Ohren. Geliefert wird das Vakzin weiterhin nur in reduzierter Form. Nunmehr ist den Brüsseler Verantwortlichen der Kragen geplatzt. Die EU-Kommission teilt mit, dass sie im Namen aller Mitgliedsstaaten in Belgien Klage eingereicht hat. Der Streit zwischen AstraZeneca und der EU spitzt sich nunmehr auf juristischem Boden zu. Ausgang ungewiss.

Nur ein Drittel Impfdosen geliefert

Was ist im Rahmen des EU-Rahmenvertrags in August 2020 vereinbart und was ist wirklich geliefert worden? Eine typische Fragestellung für Handels- und Vertriebsverträge. Fakt ist, dass die 27 EU-Mitgliedsstaaten von AstraZeneca im ersten Quartal die Lieferung von 120 Millionen Impfdosen erwartet haben. Im zweiten Quartal sollten es nochmals 180 Millionen werden. Geliefert wurden in Q1 aber nur 30 MillionenDosen. Für das zweite Quartal erwartet man nach aktuellen Aussagen nur 70 MillionenImpfeinheiten. Es werden also nur ein Drittel der Impfdosen an die EU-Staaten geliefert. Hinreichende Erklärungen für die Lieferausfälle bleibt AstraZeneca schuldig.

Die Auseinandersetzungen zwischen der EU-Kommission und AstraZeneca können schon seit Monaten beobachtet werden. Medial verstärkt wird der Streit, weil Großbritannien im Rahmen seines Impfprogramms sich über keine Lieferprobleme des Astra-Vakzins beschweren muss. Vermutet wird, dass UK in ihren Vertrag mit AstraZeneca empfindliche Vertragsstrafen hineinverhandelt hat – anders als die EU.

Dass es der EU-Kommission ernst ist, zeigt der ungewöhnliche schnelle Schritt eines Export-Kontrollmechanismus. Überdies folgte auch eine Untersagung einer geplanten Lieferung von 250.00 AstraZeneca-Dosen von Italien wohl nach Australien. Nach der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens folgt nun das Klageverfahren auf einer nächsten Eskalationsstufe.

Klageziel: mehr Impfdosen, Schadensersatz oder Polittaktik

Der britische Impfstoffhersteller teilt gegenüber der Presse mit, dass man sich verteidigen wolle. Eine Vertragsverletzung habe es nicht gegeben – so AstraZeneca. Man wolle aber die gerichtliche Auseinandersetzung so schnell wie möglich beilegen.

Es stellt sich die Frage, ob der Impfstoffhersteller wirklich zur Lieferung von 300 Millionen Impfdosen an die EU-Länder verpflichtet war oder die EU nur eine falsche Erwartungshaltung besitzt. Die Frage ist keine rein juristische Frage, wenn man sich vergegenwärtigt, dass jede Impfdosis Leben retten kann.

Unser Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bestreitet lautstark, dass Europa durch die Klage wirklich besser mit dem Covid-19-Impfstoff beliefert wird. Er hält lediglich Schadensersatzzahlungen für sinnvoll. Nicht ausgeschlossen spielt bei der Frage des Motivs auch eine Rolle, dass die EU-Kommission nicht wie ein zahnloser Papiertiger aussehen will.

Anwaltliche Einschätzung zum Klageverfahren

Der Ausgang des Klageverfahrens ist nicht vorhersehbar. Bei dem aufsehenerregenden Klageverfahren lässt sich die EU-Kommission mit Gewissheit von einem ganzen Motivbündel leiten. Sicher will sie wie so oft bei Schwierigkeiten mit dem Vertriebsvertrag primär großen Druck auf den Vertragspartner ausüben. AstraZeneca wird sich wegen des Gerichtsverfahrens sicher intensiver bemühen, schneller und mehr Vakzine zu liefern. Überdies will die EU-Kommission mit dem Gerichtsweg auch Stärke demonstrieren. Ob mit der Klage wirklich ein effektiver Schadensersatz angestrebt ist, lässt sich zumindest aus der Entfernung bezweifeln. Aus rechtstechnischer Sicht ist - anders als im Wirtschafts- oder Kartellrecht - ein Schadensersatz bei einer Minderlieferung von Impfdosen nur sehr schwer zu berechnen. Und wenn es keine Vertragsstrafeklausel gibt, muss der Schadensersatz auf Heller und Pfennig berechnet werden.  

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir nie ein Urteil in diesem Klageverfahren sehen werden, weil sich die Beteiligten vergleichen werden. Es bleibt zu hoffen, dass nach diesem Verfahren alle mehr gewinnen als verlieren werden. Schließlich geht es hier im wahrsten Sinne des Wortes um ein Lebensserum.