Scheidung wegen fehlendem Sex?
EGMR zu den "ehelichen Pflichten"
Die Gründe, warum eine Ehe in die Brüche geht, sind genauso vielfältig wie die damit einhergehenden Schuldvorwürfe. Auf das Scheidungsrecht sind diese Überlegungen aber nur sehr eingeschränkt übertragbar.
Ob, wie oft und mit wem ein Ehepaar Geschlechtsverkehr hat bzw. hatte, ist in Deutschland regelmäßig nicht ausschlaggebend für den Ausgang eines Scheidungsverfahrens. Weil das in Frankreich anders ist, musste sich nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Rolle der “ehelichen Pflichten” im Scheidungsrecht befassen (EGMR, Urteil vom 23. Januar 2025).
Alleiniges Verschulden der Scheidung wegen sexueller Verweigerung
Das französische Recht kennt bei der Ehescheidung neben der einvernehmlichen Scheidung und der Scheidung wegen Zerrüttung der Ehe auch die Ehescheidung aus Verschulden. Bei dieser beantragt ein Ehepartner die Scheidung und trägt schwere oder wiederholte Verletzungen von Pflichten vor, die eine Aufrechterhaltung der Ehe für ihn unzumutbar machen.
Französische Gerichte hatten in dem Fall, der beim EGMR landete, ein solches Verschulden einer Frau angenommen, die sich weigerte, Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann zu haben. Hierin sahen die Richter einen schweren und wiederholten Verstoß gegen die ehelichen Pflichten der Frau. Ursprünglich hatte die Frau die Scheidung eingereicht, mit Hinweis auf Verschulden des Ehemanns, der unter anderem gewalttätig und beleidigend gewesen sei.
Körperliche Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht
Der von der Frau angerufene EGMR sah in der Entscheidung der französischen Gerichte einen Verstoß gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte. Diese schütze auch die sexuelle Freiheit und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Eine eheliche Pflicht zum Geschlechtsverkehr sei damit nicht vereinbar. Insbesondere bedeute eine Zustimmung zur Eheschließung nicht automatisch auch eine Zustimmung zum Sex.
Scheidung ohne Schuld in Deutschland
Das deutsche Scheidungsrecht kennt die verschuldensabhängige Scheidung wie in Frankreich nicht. Das war nicht immer so. Vor der Reform des Scheidungsrechts in den 70er Jahren galt hierzulande noch das Schuldprinzip, das dann vom Zerrüttungsprinzip abgelöst wurde. Gravierendes Fehlverhalten eines Ehegatten spielt aber auch nach derzeitigem Scheidungsrecht noch insoweit eine Rolle, als es gegebenenfalls eine Scheidung noch vor Ablauf des Trennungsjahres ermöglichen kann.
Video: Scheidung kurz erklärt
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