Auslegung bei einem "Berliner" Testament

OLG Hamm entscheidet im Erbscheinsverfahren

Veröffentlicht am: 15.10.2014
Qualifikation: Rechtsanwalt
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Schreibt jemand in einem handschriftlich errichteten Testament, dass "die Erbschaft gemäß dem Berliner Testament einschließlich Wiederverheiratungsklausel" erfolgen soll, ist diese Formulierung nicht so auszulegen, dass die Ehefrau des Erblassers Alleinerbin geworden ist. Dies urteilte das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 22. Juli 2014, Az: I-15 W 98/14).

In dem vom Gericht zu entscheidenden Fall ging es um einen Erbschein. Der Erblasser war verheiratet und hatte zwei Kinder aus einer früheren Ehe. Beim Ableben kam es aufgrund der Formulierung im Testament zum Erbstreit. Die Ehefrau beanspruchte die Alleinerbenstellung aufgrund testamentarischer Erbeinsetzung. Die Kinder behaupteten dagegen, es fehle an einer Erbeinsetzung und beantragten vor dem Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren ein Erbschein der sie - gemäß gesetzlicher Erbfolge - neben der Ehefrau zur Hälfte (je 1/4) als Erben ausweist. Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag der Ehefrau zurück. Diese Entscheidung wurde vom OLG bestätigt. Das Testament - so das Gericht - enthalte weder ausdrücklich eine Berufung der Ehefrau als Alleinerbin noch könne diese der letztwilligen Verfügung im Wege der Auslegung entnommen werden. Es lasse sich bei der Formulierung des Erblassers nicht feststellen, was der Erblasser mit den von ihm gewählten Worten sagen wollte.
Offensichtlich habe der Erblasser auch nicht gewusst, dass man ein "Berliner Testament"  nicht als Einzeltestament errichten kann, sondern ausschließlich aus gemeinschaftliches Ehegattentestament. Welche Vorstellungen er mit einem Berliner Testament verband, vermochte das Gericht nicht zu deuten. Der Antrag auf Erbschein durch die Ehefrau blieb damit erfolglos. Die Kinder können nun selbst einen Erbschein gemäß gesetzlicher Erbfolge verlangen, der auch sie als Miterben einer Erbengemeinschaft ausweist.

Streit um das Testament bei der Ausstellung des Erbscheins

Gerade handschriftlich errichtete Testamente ohne Mitwirkung durch einen Fachanwalt für Erbrecht oder einen Notar, sind häufig unvollständig oder missverständlich formuliert und führen zum Erbstreit. Dieser wird regelmäßig vor dem Nachlassgericht ausgefochten, wenn ein (möglicher) Erbe einen Erbschein beantragt. Dann muss der wirkliche Wille des Erblassers durch Auslegung des Testaments erforscht werden. Dabei geht es nicht darum, wie die Angehörigen bzw. testamentarischen Erben oder sonstige Außenstehende das Testament verstehen durften, sondern allein um die Vorstellungen des Testierenden. Entscheidend ist stets der konkrete Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Der ausgelegt Wille muss sich jedoch irgendwie im Testament wiederfinden. Vergisst daher z.B. ein Erblasser einen seiner Wunscherben im Testament zu erwähnen und erhält die letztwillige Verfügung auch keinen anderen Hinweis auf den Erben, geht dieser leer aus, auch wenn der Wille des Erblassers zur Erbeinsetzung eigentlich feststeht.

Die Auslegung ist von der Anfechtung von Testamenten zu unterscheiden. Die Auslegung hat Vorrang vor der Anfechtung von Testamenten. Die Auslegung soll den tatsächlichen Willen des Erblasser vollumfassend verwirklichen, während die Anfechtung lediglich auf eine Vermeidung ungewollter Wirkungen gerichtet ist. In einem Erbstreit im Erbscheinsverfahren geht es häufig sowohl um die Auslegung als auch die Anfechtung und andere Gründe der Nichtigkeit wie z.B. die Testierunfähigkeit oder Formfehler. Denn gerade im Erbstreit um die Auslegung oder Anfechtung eines Testaments geht es regelmäßig um "alles oder nichts", also Erbschaft oder enterbt. Naturgemäß werden dabei dann alle erdenklichen rechtlichen Optionen zur Durchsetzung der eigenen Rechtsauffassung genutzt. Nur der Rechtsanwalt bzw. Fachanwalt für Erbrecht, der alle gesetzlichen Auslegungsregeln für Testamente und alle Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe, die ein Testament ungültig machen, kennt, wird in einem solchen Erbstreit erfolgreich bestehen können.