BFH zur Hinzuschätzung bei Betriebsprüfung
In Zukunft mehr individuelle Berechnungen
Der BFH hat ein grundlegendes Urteil zur Zulässigkeit von Richtsatzschätzungen bei einer Betriebsprüfung getroffen. Die Richter betonten die Vorrangigkeit eines inneren Betriebsvergleichs. Die Richtsatzschätzung soll künftig den Ausnahmefall darstellen und gut begründet werden.
Gerät ein Unternehmer in den Verdacht der Steuerhinterziehung, kann die Betriebsprüfung eine erste Maßnahme des Finanzamts sein, um dem Verdacht näher auf den Grund zu gehen. Deckt der Betriebsprüfer im Rahmen der Prüfung Fehler auf, hat die Finanzverwaltung bisher regelmäßig einfach eine Hinzuschätzung der Umsätze auf Basis von Branchenwerten aus der amtlichen Richtsatzsammlung vorgenommen.
Der Bundesfinanzhof hat nun geklärt, ob dieses Vorgehen zulässig ist (BFH, Urteil vom 18. Juni 2025, X R 19/21).
Schätzungsbefugnis bei mangelhafter Kassenführung
Anlass für den Rechtsstreit gab der Betreiber einer Diskothek. Bei der Betriebsprüfung in seinem Unternehmen haben die zuständigen Prüfer eine Schätzung seiner Getränkeumsätze auf der Basis von Gewinnaufschlägen der Richtsatzsammlung für Gastronomiebetriebe vorgenommen. Grund dafür seien Mängel in der Kassenführung gewesen, die dazu führten, dass die gesamte Buchführung infrage gestellt worden sei.
Das Finanzamt nahm daher im Rahmen einer Nachkalkulation der Getränkeumsätze eine Schätzung der Besteuerungsgrundlage vor (Schätzungsbefugnis gemäß § 162 AO). Eine bestimmte Schätzungsmethode ist nicht vorgeschrieben, weshalb die Finanzverwaltung die Schätzungsmethode grundsätzlich frei wählen könne – allerdings nur unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen Ermessens.
Anwendung von Richtsatzsammlung bei Betriebsprüfung zweifelhaft
Die BFH-Richter erklärten Zweifel an der bisherigen Handhabung zur Schätzung von Umsätzen im Rahmen einer Betriebsprüfung. Anstelle der Schätzung anhand von Richtsatzsammlungen solle künftig ein „innerer Betriebsvergleich“ vorgenommen werden – im Gegensatz zum „äußeren Betriebsvergleich“, der auch eine Richtsatzschätzung umfasst.
Unter einem inneren Betriebsvergleich verstehen die Richter des BFH eine individuell vorzunehmende Berechnung, die sich an den vorhandenen Daten und Verhältnissen des betroffenen Unternehmens orientiert. Dies stelle eine zuverlässigere Schätzmethode für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage dar.
Schätzungsergebnisse sollen individuell berechnet werden
Treten bei Betriebsprüfungen Unklarheiten in der Buchführung zu Tage, sollen Betriebsprüfer und Gerichte nicht mehr automatisch auf pauschale Richtsätze zurückgreifen, sondern individuelle Berechnungen vornehmen. Führt eine Betriebsprüfung in Zukunft zu Schätzungsergebnissen, müssen diese nachvollziehbar und verhältnismäßig zum geprüften Betrieb passen – Richtsatzschätzungen sollen künftig nur noch ausnahmsweise zulässig sein.
Ein gewisses Restrisiko, dass die Schätzungsergebnisse nicht den tatsächlichen betrieblichen Verhältnissen entsprechen, bleibe jedoch weiterhin bestehen.
Orientierung an Richtsätzen muss nachvollziehbar begründet sein
Laufende Verfahren, in denen sich das geprüfte Unternehmen per Einspruch oder Klage gegen den Bescheid des Finanzamts gewehrt haben, könnten sich nun auf das Urteil des BFH berufen und gegen eine unzulässige Schätzung der Unternehmensumsätze aufgrund einer Richtsatzsammlung vorgehen. Anders kann es sich bei bestandskräftigen Steuerbescheiden verhalten.
Außerdem bleibt die Schätzung auf Basis einer Richtsatzsammlung weiterhin möglich, wenn der geprüfte Betrieb Aufzeichnungen vorlegt, die derart lückenhaft oder inhaltlich zweifelhaft seien, dass ein innerer Betriebsvergleich zur Berechnung von Umsätzen nicht möglich sei. Hierbei sei jedoch darauf zu achten, dass die Wahl der Schätzungsgrundlage nachvollziehbar begründet wird.
BFH: Keine pauschale Hinzuschätzung bei Betriebsprüfung
Mit seinem Urteil hob der BFH das Urteil der Vorinstanz (FG Hamburg, Urteil vom 13.10.2020 – 2 K 218/18) auf und wies den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das FG Hamburg zurück, da die vorgenommene pauschale Hinzuschätzung auf Grundlage der Richtsatzsammlung nicht hinreichend nachvollziehbar begründet worden sei – insbesondere, weil eine Diskothek zu keiner der in der amtlichen Richtsatzsammlung aufgeführten Gewerbeklassen passe – und nun Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung bestünden.
Das Urteil dürfte die Schätzungspraxis der Finanzverwaltung nachhaltig verändern, da Betriebsprüfer und Finanzämter nicht mehr pauschal auf Richtsätze zurückgreifen dürfen, sondern deren Anwendung nachvollziehbar begründen müssen. Vorzugsweise soll eine individuelle und verhältnismäßige Nachkalkulation auf Basis eines inneren Betriebsvergleichs vorgenommen werden.