Formenmissbrauch in der Arztpraxis

Gemeinschaftspraxis vs. Praxisgemeinschaft

Unter welchen Voraussetzungen aus einer Praxisgemeinschaft rechtlich eine Gemeinschaftspraxis werden kann, und welche finanziellen Folgen ein sogenannter Formenmissbrauch für die Beteiligten hat, beleuchten wir in diesem Beitrag.

Veröffentlicht am: 26.06.2025
Qualifikation: Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Gesellschaftsrecht
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Für Vertragsärzte ist die Wahl der passenden Kooperationsform (Praxisgemeinschaft oder Berufsausübungsgemeinschaft) essenziell – sowohl im Hinblick auf die tägliche Zusammenarbeit und die Abläufe im Praxisalltag als auch bezüglich der rechtlichen und wirtschaftlichen Organisation. Ob man sich für eine Praxisgemeinschaft oder eine Berufsausübungsgemeinschaft (auch Gemeinschaftspraxis) entscheidet, hat erhebliche Auswirkungen.

In einem aktuellen Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg haben die Richter sich mit den Voraussetzungen eines sogenannten „Formenmissbrauchs“ auseinandergesetzt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.09.2024 – L 7 KA 5/23). 

Praxisgemeinschaft oder Gemeinschaftspraxis?

Ein Facharzt für Orthopädie und ein Facharzt für Unfallchirurgie führten gemeinsam eine sogenannte Praxisgemeinschaft – jedenfalls wollten sie das. Im Praxisalltag wurden regelmäßig die Versichertenkarten derselben Patienten bei jeweils beiden Ärzten – teilweise noch am selben Tag – eingelesen.

Als dies im Rahmen einer stichprobenartigen Untersuchung bekannt wurde, verlangte die betroffene Krankenkasse bereits abgerechnete Honorare in einer höheren fünfstelligen Summe zurück. Hier würde ein Formenmissbrauch vorliegen.

Die Krankenkasse argumentierte damit, dass das Vorgehen der Ärzte dem Wesen einer echten Praxisgemeinschaft – jeder Arzt hat seinen eigenen Patientenstamm und betreut diesen selbständig – widerspreche. Für den Fall, dass Ärzte, die einer Praxisgemeinschaft angehören, wiederholt dieselben Patienten behandeln und auch organisatorische Abläufe immer mehr zwischen den Ärzten verschwimmen würden, müsse der Krankenkasse zufolge die Praxisgemeinschaft rein faktisch in eine Berufsausübungsgemeinschaft umqualifiziert werden, inklusive aller rechtlichen Konsequenzen.

Patientenidentität von mehr als 50 %

Ein Formenmissbrauch liegt regelmäßig dann vor, wenn Ärzte ihre Zusammenarbeit betreffend sowohl das Innen- als auch das Außenverhältnis so gestalten, wie es eigentlich in einer Gemeinschaftspraxis bzw. Berufsausübungsgemeinschaft üblich ist.

Die Richter des LSG orientierten sich im Rahmen der Urteilsfindung an der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die im Wesentlichen den Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen entspricht. Demzufolge bestehe bei einer Patientenidentität von mehr als 20 % zwischen Ärzten einer Praxis ein Indiz – bei gebietsübergreifenden oder versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften ab mehr als 30 % – für einen Formenmissbrauch vor (BSG, Beschluss vom 11.05.2011 – B 6 KA 1/11 B).

Im vorliegenden Fall bestand zwischen den Ärzten sogar eine Patientenidentität von mehr als 50 %, sodass eindeutige Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Zusammenarbeit vielmehr den Strukturen einer Gemeinschaftspraxis entspreche. Von den Richtern wurde außerdem darauf hingewiesen, dass neben der einer gemeinsamen Nutzung der Patientenkartei auch das abgestimmte Vergeben von Terminen sowie die gemeinsame Koordination von Abrechnungen schon Indizien für einen Formenmissbrauch sein können – eine ausdrückliche Täuschungsabsicht müsse nicht gegeben sein.

LSG: Indizien für Formenmissbrauch liegen vor

Das Urteil betont die Wichtigkeit einer konsequenten und insbesondere transparenten Umsetzung der von den Ärzten gewählten Kooperationsform im Praxisalltag. Vor allem, wenn sich Ärzte zusammenschließen, die gebietsnahe Fachrichtungen betreuen, wie hier Orthopädie und Unfallchirurgie, sind Überschneidungen oft nicht vermeidbar. 

Allerdings muss dann erst recht eine sorgfältige patientenbezogene Trennung der internen Abläufe erfolgen. Rechtlich unsaubere Gestaltungen der internen Abläufe können ansonsten zu Regressen führen.

 

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