Private Equity vs. anwaltliches Berufsrecht

Fremdbesitzverbot: Drängen Finanzinvestoren trotzdem in den Rechtsmarkt?

Das Interesse von Finanzinvestoren an deutschen Anwaltskanzleien ist groß – trotz des geltenden Fremdbesitzverbots. Einige Gedanken zu Motiven und Reflexen.

Veröffentlicht am: 03.11.2025
Qualifikation: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht
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Das Fremdbesitzverbot bedeutet, dass Anwaltsgesellschaften nicht von Nicht-Anwälten beherrscht, geleitet oder maßgeblich beeinflusst werden dürfen. So schreibt es die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vor. In einem Urteil vom 19. Dezember 2024 (C-295/23) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) dieses Verbot ausdrücklich als unionsrechtskonform bestätigt. Kapitalbeteiligungen reiner Finanzinvestoren an Anwaltskanzleien – ähnlich einer Unternehmensfinanzierung – bleiben damit verboten.

Gleichwohl bleibt das Interesse von Investoren am deutschen Rechtsmarkt hoch. Befürworter und Gegner des Fremdbesitzverbots streiten weiter über die Grundfrage, ob das Verbot die anwaltliche Unabhängigkeit schützt oder es eher dringend benötigte Investitionen und Innovationen verhindert.

EuGH stärkt das Fremdbesitzverbot

Der EuGH hat in seiner viel beachteten Entscheidung aus dem letzten Jahr entschieden, dass der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit schwerer wiegt als der freie Kapitalverkehr. Zwar greift das Verbot in den unionsrechtlich geschützten Kapitalverkehr ein, doch hält das Gericht dies für verhältnismäßig.

Zur Begründung verweist der EuGH auf das Risiko, dass Investoren Druck auf Anwälte ausüben könnten, etwa durch die Androhung, Investitionen zu entziehen, oder durch Einflussnahme auf die Mandatsauswahl. Ein Fremdbesitzverbot verhindere solche Interessenkonflikte und schütze damit das Vertrauen in eine unabhängige Rechtsberatung, so die Richter mit erhobenem Zeigefinger.

Was reizt Investoren an Kanzleien?

Auf den ersten Blick überrascht es, dass der Finanz- und Beteiligungsmarkt an deutschen Rechtsberatern so interessiert ist. Tatsächlich ist die Rechtsbranche für Investoren aus diversen Gründen attraktiv. Rechtsdienstleistungen gelten als vergleichsweise krisenresistent, da rechtliche Konflikte auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten entstehen. Für Finanzinvestoren ist Stabilität ein wesentlicher Faktor. Darüber hinaus lässt sich mit der Digitalisierung Geld verdienen. Neue Geschäftsmodelle im Legal-Tech-Bereich eröffnen Chancen für Skalierung und Effizienzsteigerung bei gut aufgestellten Anwaltskanzleien. Nicht zuletzt weckt das Thema Nachfolge die Interessen von Private Equity. Gerade mittelgroße Kanzleien stehen vor einem Generationenwechsel und könnten wie im gewerblichen Mittelstand in Investoren mögliche Partner für Nachfolge, Wachstum und Professionalisierung finden.

Im Bereich Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung sind Private-Equity-Beteiligungen schon länger üblich. Bei Anwaltskanzleien fließt Kapital dagegen meist indirekt in angrenzende Bereiche wie Legal Tech, Inkasso, Prozessfinanzierung oder Servicegesellschaften. Wegen des Fremdbesitzverbots setzen Investoren hier auf komplexe Lizenzmodelle und Fremdkapitallösungen, etwa über Darlehen oder Mezzanine-Finanzierungen. Solche Modelle sind berufsrechtlich noch zulässig, solange sie keine Einflussrechte an der Kanzlei selbst begründen.

Argumente für eine Öffnung

Dem EuGH und dem bestätigten Fremdbesitzverbot kann man entgegenhalten, dass auch andere derzeit erlaubte finanzielle Beziehungen, Fremdkapital in Anwaltskanzleien oder sogar private Darlehensverträge mit Anwälten, Einfluss auf die anwaltliche Unabhängigkeit nehmen können. Fremd- oder Mezzaninekapital kann erheblichen Druck auf das operative Geschäft ausüben, ohne dass Beteiligungsrechte bestehen.

Ein Blick nach Großbritannien zeigt zudem, dass die Öffnung dort für externe Investoren nicht zu einer Abhängigkeit der Anwälte geführt hat. Weder Mandatsauswahl noch Beratungsqualität haben nachgelassen. Verschwiegenheitspflichten bleiben auch bei Beteiligungen gewahrt. Ein direkter Einfluss auf einzelne Mandate ist in UK ausgeschlossen.

Hinzu kommt, dass das Fremdbesitzverbot bereits Ausnahmen kennt. Bestimmte Berufsgruppen und ausgeschiedene Anwälte dürfen in Anwaltskanzleien investieren. Das bestehende Verbot ist also heute schon nicht vollständig stringent. 

Eine maßvolle Lockerung könnte Investitionen ermöglichen, ohne die Unabhängigkeit des Berufsstands preiszugeben, zum Beispiel durch klare Beteiligungsgrenzen und Transparenzpflichten. Modelle mit berufsrechtlicher Kontrolle und Begrenzung des Einflusses von Investoren könnten die Vorteile nutzbar machen, ohne Unabhängigkeit zu gefährden.

Wettbewerbs- & Innovationsbremse

Ohne externes Kapital fehlt vielen Kanzleien die Möglichkeit, dringend benötigte Investitionen in Digitalisierung und Legal-Tech-Projekte zu tätigen. Vor allem kleine und mittelständische Kanzleien geraten so gegenüber Großkanzleien ins Hintertreffen. Deutsche Kanzleien haben wegen des Fremdbesitzverbots auch Wettbewerbsnachteile gegenüber angelsächsischen Kanzleien, in denen Fremdbesitz erlaubt ist, etwa Kanzleien aus UK und Australien. Schließlich gibt es auch Wettbewerbsverzerrung zugunsten interdisziplinärer Anbieter, wie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Steuerberatungsketten oder multidisziplinäre Partnerschaften. Diese nutzten heute schon privates Kapital. Rechtsanwaltskanzleien wird der direkte Zugriff verweigert.

Ein weiteres wichtiges Argument liegt in der Fortentwicklung von Technologien und Modellen. Neue Technologien eröffnen die Chance, auch Verfahren mit geringem Streitwert wirtschaftlich zu bearbeiten und so den Rechtszugang breiter Bevölkerungsschichten zu sichern. Wenn aber solche Innovationen nur mit Hilfe finanzstarker Investoren möglich sind, kann das Fremdbesitzverbot selbst zu einer Barriere des Rechtszugangs werden.

Kapitalzugriff könnte auch zu finanziellen Vorteilen und niedrigen Honoraren auf der Mandantenseite durch größere Skaleneffekte führen. Größere Kapitalausstattung könnte Honorare senken und spezialisierte Expertise finanzieren. Risikokapital könnte Experimente mit neuen Geschäftsmodellen (Flatrate-Rechtsberatung, automatisierte Dokumentengenerierung) ermöglichen.

Kapital durch die Hintertür?

Der EuGH hat das Fremdbesitzverbot gestärkt und den direkten Weg für Private-Equity-Investoren in deutsche Anwaltskanzleien engmaschiger versperrt. Doch die wirtschaftliche Realität zeigt, dass das Kapital sich seine Wege sucht. Investoren dringen zunehmend über angrenzende Geschäftsmodelle, Servicegesellschaften oder komplexe Finanzierungs- und Lizenzmodelle in den anwaltlichen Rechtsmarkt vor. Vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen sprechen die dargelegten Gründe für eine vorsichtige Öffnung. Kapital und anwaltliche Unabhängigkeit müssen sich nicht ausschließen, wenn klare berufsrechtliche Leitplanken bestehen.