Stiefkinder und immer wieder Patchwork

Übersehene Pflichtteilsansprüche der Kinder

Veröffentlicht am: 29.05.2019
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Übersehene Pflichtteilsansprüche der Kinder

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Kolja Schlecht, Fachanwalt für Erbrecht

Ein aktuelles Beratungsmandat macht erneut deutlich, dass auch scheinbar einfach gelagerte „Patchwork-Familien“ insbesondere den Kindern des verstorbenen Ehegatten Schwierigkeiten bereiten.             

Nach einer Scheidung oder Tod eines Partners werden häufig neue Beziehungen eingegangen und eigene Kinder aus vorangegangenen Beziehungen mitgebracht. In diesen Patchwork-Familien leben die Partner mit ihrem eigenen Nachwuchs und den Kindern des Partners, den Stief­kindern, zusam­men. Im Familienalltag spielt die leibliche Verwandt­schaft keine Rolle. Jedoch im Erbfall ändert sich dies erheblich, denn erbrechtlich werden in Patchwork-Familien leibliche Kinder und Stief­kinder nicht gleich behandelt.

Stirbt der leibliche Vater oder die leibliche Mutter zuerst?

Der vorliegende Sachverhalt stellte sich so dar, dass ein Paar nach der Scheidung in zweiter Ehe miteinander verheiratet war. Die Ehefrau hatte aus erster Ehe eine erwachsene Tochter und der Ehemann einen ebenfalls volljährigen Sohn. Die Ehefrau verstarb 2016, der erst 58-Jährige Witwer lebt in einer neuen Beziehung.

Die Eheleute hatten sich in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt und als gemeinsame Schlusserben die beiden jeweils in die Ehe gebrachten Kinder bestimmt (Berliner Testament). Das Kind, das nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil geltend machte, war für den zweiten Erbfall enterbt. 

Pflichtteilstrafklausel im Berliner Testament

In gemeinschaftlichen Testamenten von Eheleuten finden sich solche Pflichteilstrafklausel in verschiedensten Ausgestaltungen.

Gerade von den Kindern des Erstverstorbenen wird nicht selten übersehen, dass sie bereits mit diesem Testament von ihrem eigenen Elternteil enterbt wurden und ihnen – anders als in den Fällen, dass beide Eheleute die leiblichen Eltern oder Adoptiveltern sind- nach dem Tod des/der letztversterbenden Stiefvaters/Stiefmutter keine Pflichtteilsansprüche oder Pflichtteilergänzungsansprüche zustehen. Nach den Stiefelternteil kommen Stiefkinder nicht als gesetzliche Erben in Frage,  §1924 - § 1936 BGB.

Stiefeltern sind nach dem BGB leiblichen Eltern oder Adoptiveltern nicht gleichgestellt. Lediglich erbschaftsteuerlich werden Stiefkindern wie leibliche Kinder behandelt (Freibetrag Stand 2019: € 400.000), § 15 Abs. 1 ErbStG. Damit bleibt dem Abkömmling des verstorbenen Elternteils entweder die Wahl, Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des eigenen Elternteils innerhalb der Verjährungsfrist gegen den Stiefvater/ die Stiefmutter geltend zu machen oder den zweiten Erbfall abzuwarten.

Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments wegen Neuverheiratung/Adoption

Diese auch emotional schwierige Entscheidung der Kinder wird dadurch erschwert, als dass der überlebenden Stiefelternteil, der sich zum Beispiel neu verheiratet oder der ein Kind adoptiert, auch bindend gewordene wechselbezügliche Verfügungen aus einem früheren gemeinschaftlichen Testament durch Anfechtung innerhalb eines Jahres nach dem entsprechenden Ereignis durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht anfechten kann.

Dieses gesetzliche Anfechtungsrecht ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich und wirksam auf ihr Anfechtungsrecht verzichtet haben.

Sollten die Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des eigenen Elternteils bereits verjährt sein und wird anschließend die ursprünglich vorgesehene Schlusserbeinsetzung wirksam angefochten, kann der insoweit betroffene Abkömmling am Ende vollständig „leer ausgehen“.

Drei-Jahresfrist beachten!

Es kann in solchen Fallkonstellationen dringend geraten werden, rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist anwaltlichen Rat und Unterstützung zu suchen. Gemeinsam können dann die entsprechend erforderlichen rechtlichen Schritte zur Vermeidung von Rechtsverlusten zu erkennen, um Lösungsstrategien zu entwickeln.