Verlängerte Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung
BFH: Bloßer Verdacht genügt nicht
Ein Urteil des Bundesfinanzhofs konkretisiert die Voraussetzungen für die Verlängerung der Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO.
Mit seinem Urteil vom 9. April 2025 -II R 39/21- hat der Bundesfinanzhof (BFH) sich mit den rechtlichen Voraussetzungen der Verlängerung der Festsetzungsverjährung in Steuerhinterziehungsfällen auf 10 Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 Abgabenordnung (AO) auseinandergesetzt.
Witwer reicht unvollständiges Nachlassverzeichnis ein
Anlass zum BFH-Urteil gab ein Erbfall, bei dem sich zwei Ehepartner 1991 per gemeinschaftlichem Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten. Die Frau verstarb 2007. Zuvor hatte sie Vermögenswerte einer Stiftung und die dazugehörige Kundenverbindung bei einer Bank, über die sich jederzeit unbeschränkt verfügen durfte, in eine gemeinsam mit ihrem Ehemann abgeschlossene Lebensversicherung eingebracht. Als sie starb, reichte der Witwer beim Nachlassgericht ein Nachlassverzeichnis mit einem geschätzten Verkehrswert des Nachlasses ein – darin waren jedoch weder das Bankvermögen aus einer von ihr errichteten Stiftung noch Ansprüche aus der Lebensversicherung enthalten.
Auf dieser Grundlage ging das Finanzamt davon aus, dass der Nachlasswert unterhalb des Freibetrags für Ehegatten gemäß § 16 Abs. 1 Nr.1 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz lag, und setzte deshalb keine Erbschaftsteuer fest. Erst 2014 offenbarte der Witwer dem zuständigen Finanzamt, dass noch weitere Vermögenswerte in den Nachlass vielen. Daraufhin schätzte das Finanzamt den Nachlass und erließ – unter Berufung auf die verlängerte Festsetzungsfrist von zehn Jahren wegen Steuerhinterziehung – einen entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid.
Die Finanzbehörde argumentierte, dass der Mann durch das unvollständig eingereichte Nachlassverzeichnis sowie das Unterlassen der Anzeige einer Vorschenkung eine Steuerhinterziehung begangen habe. Gegen den Erbschaftssteuerbescheid legte der Witwer Einspruch ein, den das Finanzamt mit dem Hinweis auf die verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren aufgrund einer Steuerhinterziehung durch unvollständige Angaben zurückwies. Die hiergegen gerichtete Klage des Witwers/Klägers beschied das Finanzgericht per Zwischenurteil, in dem es feststellte, dass im Hinblick auf die Steuerhinterziehung des Klägers durch unrichtige Angaben gegenüber dem Nachlassgericht und damit mittelbar auch gegenüber dem Finanzamt die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AO anzuwenden sei. Hiergegen legte der Witwer/Kläger Revision beim BFH ein.
Prüfung der Anwendung der auf 10 Jahre verlängerten Festsetzungsfrist
Bei der Prüfung der Festsetzungsverjährung setzten sich die Richter des BFH intensiv mit den Voraussetzungen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO und der Frage auseinander, ob schon der bloße Verdacht der Steuerhinterziehung ausreicht, um die Festsetzungsfrist von regulär vier Jahren auf zehn Jahre zu verlängern.
Hierzu führte der BFH aus, dass die Festsetzungsfrist von 10 Jahren dann eingreift, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, bestimme sich bei der Prüfung der Festsetzungsverjährung nach § 370 AO, der die Tatbestandsmerkmale des Straftatbestands "Steuerhinterziehung" enthalte. Dies setze voraus, dass neben dem objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung auch in subjektiver Hinsicht ein Vorsatz des Täters konkret festgestellt werden muss.
Im Ergebnis genüge ein bloßer strafrechtlicher (Anfangs-)Verdacht nicht für die Verlängerung der Festsetzungsfrist. Vielmehr müsse im Rahmen des Besteuerungsverfahrens eine eigenständige Prüfung darüber erfolgen, ob eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO vorliegt.
Wann wird Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung verlängert?
Infolgedessen hat der BFH das vorherige Zwischenurteil des FG Nürnberg aufgehoben. Die Richter stellten fest, dass das Finanzgericht, ohne konkrete Feststellungen zur Steuerhinterziehung und zur Höhe des Steueranspruchs gemacht zu haben, kein (Zwischen)Urteil zur Verlängerung der Festsetzungsfrist fällen durfte.
Es müsse zunächst das Vorliegen des objektiven Tatbestands in Form einer tatsächlichen Steuerverkürzung nachgewiesen werden. Dabei müsse auch ein Hinterziehungsbetrag beziffert werden. Weiterhin sei erforderlich, dass dem Täter auch ein Vorsatz für die Steuerhinterziehung nachgewiesen werden kann. Beides sei vom Finanzgericht Nürnberg nicht hinreichend geprüft worden.
Insbesondere wurde hervorgehoben, dass bei der Beurteilung einer möglichen Steuerhinterziehung streng zwischen Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer zu trennen sei. Den Richtern zufolge führe das Unterlassen einer Schenkungsanzeige daher nicht automatisch zu einer Steuerhinterziehung bei der Erbschaftsteuer.
BFH fordert konkrete Feststellungen zur Steuerhinterziehung
Voraussetzung für die Anwendung der verlängerten Festsetzungsfrist von 10 Jahren ist damit, dass die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung, d.h. eines der Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können. Die Feststellungslast trifft dabei das Finanzamt!
Genügen die Feststellungen diesen Anforderungen nicht und lässt sich insbesondere auch ein Steuerschaden nicht berechnen, gelangt die verlängerte Festsetzungsverjährung von 10 Jahren nicht zur Anwendung!
