Was ist überhaupt ein Neukunde?

Begriffsbestimmung im Handelsvertreter- und Vertriebsrecht durch den BGH

Veröffentlicht am: 18.04.2017
Von: ROSE & PARTNER Rechtsanwälte Steuerberater
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Ausdehnung des Begriffs im Handelsvertreter- und Vertriebsrecht durch den BGH

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Christian Westermann, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Der BGH hat am 6. Oktober 2016 in einem Urteil zum Handelsrecht und Vertriebsrecht entschieden, dass „neue“ Kunden im Sinne des § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB auch Kunden sein können, die zuvor bereits Geschäftsverbindungen mit dem Unternehmer unterhalten haben.

Der BGH hat in dem entschiedenen Revisionsverfahren zum Handelsrecht damit die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und an das OLG München als Berufungsgericht zurückverwiesen.

Verschiedene Handelsvertreter betreuten dieselben Optiker

Der Sachverhalt des Falles ist schnell umrissen: Der Handelsvertreter war für einen Großhandel tätig, der mit Brillengestellen verschiedener Kollektionen und Marken handelte. Das beklagte Großhandelsunternehmen hatte den Vertrieb so organisiert, dass verschiedene Handelsvertreter mit dem Verkauf der Produkte an Optiker betraut waren. Jedem Handelsvertreter waren dabei lediglich Brillenkollektionen bestimmter Marken zugewiesen und nicht der Vertrieb der gesamten Produktpalette.

Somit kam es vor, dass verschiedene Handelsvertreter mit „ihrem“ Teilsortiment dieselben Optiker aufsuchten. Diese Optiker unterhielten also bereits Geschäftsbeziehungen zu dem Großhandelsunternehmen hinsichtlich bestimmter Brillenkollektionen / Marken. Durch die Vertriebstätigkeit des Handelsvertreters kamen nun noch andere Kollektionen und Marken hinzu, die die jeweiligen Optiker zuvor noch nicht von der Beklagten bezogen hatten.

Dauerbrenner: Streit um den Handelsvertreterausgleichsanspruch

Wie so oft im Handelsrecht: Irgendwann endet ein Vertriebsvertrag und der Handelsvertreter stellt die Frage nach dem Handelsvertreterausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB und erhob schließlich Klage vor dem Landgericht München.

Im Streit stand insbesondere die Frage, ob die von der Klägerin für „ihre“ Brillenkollektionen geworbenen Optiker Neukunden im Sinne von § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB waren, obwohl diese Optiker zuvor bereits Geschäftsbeziehungen – hinsichtlich Brillenkollektionen – mit der Beklagten unterhalten hatten.

Das Landgericht München hat grundsätzlich auch diejenigen von der Klägerin geworbenen Kunden, die vorher andere Kollektionen von der Beklagten bezogen hatten, als Neukunden angesehen. Das OLG München hat dieses Urteil in der Berufungsinstanz bestätigt.

Was ist das Neue an der Entscheidung?

Die Entscheidung ist insoweit interessant, als das bisher als „neu“ nur solche Kunden galten, die bislang noch keine Geschäftsbeziehung zum Unternehmer hatten. Wenn überhaupt, so konnten Bestandskunden des Unternehmers branchenbezogen als Neukunden gelten, nämlich wenn sie bisher nur in einer anderen Branche mit dem Unternehmer in Geschäftsverbindung gestanden hatten.

Nunmehr können also Bestandskunden eines Unternehmers sogar für Produkte der gleichen Branche als Neukunden angesehen werden. Zuvor wurden Bestandskunden nur nach einer Intensivierung der Geschäftsbeziehung um 100% einem Neukunden gleichgesetzt.

Nachdem das Verfahren den „Umweg“ über den EuGH bzgl. der Auslegung des Begriffs „neuer Kunde“ im Sinne der EU-Handelsvertreterrichtlinie genommen hatte, begründete der BGH seine Entscheidung jetzt damit, dass Bestandskunden als neue Kunden gelten können, wenn es dem Handelsvertreter durch seine Bemühungen gelungen sei, gerade für die von ihm speziell vertriebenen Waren eine Geschäftsbeziehung zu begründen – selbst dann, wenn es sich nur um Teil einer Produktpalette aus der gleichen Branche handelt.

Der Vertrieb unterschiedlicher Marken erfordere unterschiedliche Verkaufsstrategien. Es komme für die Entscheidung, ob durch den Handelsvertreter eine spezielle Geschäftsverbindung zum Kunden begründet worden ist, darauf an, ob besondere Vermittlungsbemühungen oder eine besondere Verkaufsstrategie erforderlich waren. Da hierzu Tatsachenfeststellungen fehlten hat der BGH das Verfahren an das OLG München zurückverwiesen.

Die Grundaussage ist aber klar: Zukünftig können alte Kunden in noch mehr Fällen neue Kunden sein.