10-Jahres-Frist beim Familienheim

Erbschaftsteuerbefreiung trotz Beendigung der Selbstnutzung?

Für die Kinder, Ehegatten oder Lebenspartner des Erblassers oder der Erblasserin besteht die Möglichkeit, eine vollständige Erbschaftsteuerbefreiung für das sogenannte Familienheim in Anspruch zu nehmen.

Veröffentlicht am: 05.09.2022
Qualifikation: Fachanwalt für Steuerrecht in Hamburg
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Hierfür muss der oder die Erblasser/in das Objekt grundsätzlich bis zum Erbfall zu eigenen Wohnzwecken bewohnt haben und die Erben müssen unverzüglich nach dem Erbfall das zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmen. Entscheidend ist dabei, dass sie das Familienheim mindestens zehn Jahre nach Erwerb zu eigenen Wohnzwecken selbst nutzen.

In zwei aktuellen Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof (BFH) erneut zur Erbschaftsteuerbefreiung des sogenannten Familienheims Stellung genommen und den Erben die Befreiung gewährt, obwohl diese vor Ablauf der zehnjährigen Haltefrist aus dem geerbten Familienheim ausgezogen waren und das Objekt veräußert bzw. abgerissen hatten (BFH, Urteile vom 01.12.2021, II R 1/21 und II R 18/20).

Was regelt die Familienheimklausel?

Das Schenkung- und Erbschaftsteuerrecht nennt drei verschiedene Fälle einer sachlichen Steuerbefreiung für das selbst zu bewohnende Familienheim. Bei lebzeitigen Zuwendungen (Schenkungen) an den Ehegatten oder Lebenspartner, ist das bebaute Grundstück von der Schenkungsteuer freigestellt, soweit darin eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird (Familienheim).

Daneben bestehen entsprechende Steuerbefreiungen bei der Erbschaftsteuer für den Erbfall durch den Ehegatten oder Lebenspartner bzw. durch die Kinder, Enkelkinder, Urenkel des Erblassers oder der Erblasserin. Dies setzt voraus, dass der oder die Erblasser/in das Objekt bis zum Erbfall zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder an der Selbstnutzung gehindert gewesen sein, z. B. aufgrund einer Pflegedürftigkeit. Die Erwerber müssen dieses Objekt sodann für zehn Jahre zu eigenen Wohnzwecken selbstgenutzt haben.

Bei der Steuerbefreiung zugunsten der Kinder und Kindeskinder besteht zudem eine Flächenbegrenzung. Wenn die Wohnfläche größer als 200 qm ist, erfolgt eine anteilige Kürzung der Steuerbefreiung bezüglich des überschießenden Wohnflächenanteils. Nutzen die Erben das erworbene Familienheim nicht bis zum Ablauf der zehnjährigen Haltefrist zu eigenen Wohnzwecken, wird die Steuerbefreiung nachträglich verwehrt und es erfolgt eine entsprechende Nachbesteuerung.

Familienheim verkauft, Erbschaftsteuer gespart

In den beiden vom BFH entschiedenen Fällen zur Erbschaftsteuer bei Immobilien hatten die Erbinnen jeweils das Familienheim nach dem Erwerb zunächst bezogen und selbst bewohnt. Die Erbinnen sind sodann jedoch aus gesundheitlichen Gründen vor Ablauf der Zehnjahresfrist aus den Objekten ausgezogen und haben diese veräußert bzw. abgerissen.

In ersten Fall stellte die Erbin auf ihre Bandscheibenvorfälle und ein Hüftleiden ab, das wegen einer Angststörung nicht operabel sei. Im anderen Fall stellte die Erbin darauf ab, dass sich ihr Gesundheitszustand nach dem Versterben ihres Ehemannes durch erneute Depressionen verschlechtert habe und sie einem ärztlichen Rat folgend aus dem Haus ausgezogen sei, da das ehemals gemeinsam bewohnte Haus psychische Folgeschäden erwarten ließ.

Die zuständigen Finanzämter und die Vorinstanz hatten die Gewährung der Erbschaftsteuerbefreiung für das Familienheim zugunsten der Tochter bzw. im zweiten Fall zugunsten der Ehefrau des Erblassers wegen der Aufgabe der Selbstnutzung versagt und die Erbschafsteuer für das geerbte Grundstück nachträglich festgesetzt.

Der BFH hat hingegen in seinen Entscheidungen klargestellt, dass die Erbinnen aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert sein können. Solche zwingenden Gründe können beispielsweise erhebliche gesundheitliche Erkrankungen oder Einschränkungen sein. Sind diese Gründe gegeben, sei der spätere Verkauf des Familienheims bzw. dessen Abriss für die Gewährung der Steuerbefreiung unschädlich.

Selbstnutzung unmöglich oder unzumutbar

Der BFH hebt in seinen Entscheidungen ausdrücklich hervor, dass dem Erben die Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar sein muss. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen reichen dagegen nicht aus.

Die Steuerbefreiung zur „Familienheimklausel“ ist demnach weiterhin eng auszulegen. Deshalb ist auch der Nachversteuerungstatbestand für den Fall, dass innerhalb der Zehnjahresfrist die Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken aufgegeben wurde, ebenfalls eng auszulegen.  

Andererseits ist es – wie das Finanzamt es in den Entscheidungsfällen vorgetragen hat – für die Weitergewährung der Steuerbefreiung unerheblich, ob der Erbe aus gesundheitlichen oder baulichen Gründen zwar in dem erworbenen Familienheim nicht mehr einen eigenen Haushalt führen kann, jedoch in der Lage wäre, dies in einer anderen Wohnung zu tun. Entscheidend ist allein, ob die Krankheit – objektiv betrachtet – den Erwerber an einer weiteren Selbstnutzung hindert.

Vor dem Auszug das Finanzamt informieren

Als Erbe, der die Familienheimklausel in Anspruch nimmt und während der Haltefrist ernsthaft erkrankt und sich daher außer Stande sieht, weiterhin in dem geerbten Objekt zu wohnen, sollte man den Auszug und Verkauf nicht übereilt vornehmen.

Vielmehr sollten parallel zur Vorbereitung des Auszugs zunächst die erforderlichen (gerichtsfesten) Nachweise für den Auszugsgrund wie z. B. ärztliche Atteste über die Krankheit, Begutachtungen über den baulichen Zustand der Immobilie, o. ä. einholen und sie dem zuständigen Erbschaftsteuerfinanzamt vorlegen.

Erst nach Abstimmung mit dem Finanzamt und entsprechender Bestätigung sollte der Auszug und Verkauf oder der Abriss des vormaligen Familienheims erfolgen. Bei dieser Abstimmung mit den Finanzbehörden empfiehlt es sich in jedem Fall, auf die Unterstützung eines Fachanwalts im Steuerrecht oder Steuerberaters zurückzugreifen.