Finanzinvestoren in deutschen Anwaltskanzleien

Wird der EuGH das Fremdbesitzverbot kippen?

Vor dem EuGH wird über das Fremdbesitzverbot, das vor dem Einstieg von Private Equity-Investoren in deutsche Anwaltskanzleien schützt, verhandelt. Der Generalanwalt will das deutsche Standesrecht liberalisiert sehen, da es gegen EU-Recht verstößt.

Veröffentlicht am: 05.07.2024
Qualifikation: Rechtsanwalt & Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Manuel Campos Sánchez-Bordona, hat am 4. Juli 2024 sein Votum im Fall der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft gegen die Rechtsanwaltskammer München abgegeben. Diese Entscheidung könnte weitreichende Folgen für das deutsche Anwaltswesen haben. Im Kern geht es um die Frage, ob das deutsche Fremdbesitzverbot für Anwaltsgesellschaften mit dem EU-Recht vereinbar ist.

Hintergrund des Falls

Die Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft hatte 51 % ihrer Anteile an die SIVE Beratung und Beteiligung GmbH, eine österreichische Gesellschaft, übertragen. Diese ist jedoch nicht zur Rechtsberatung zugelassen. Die Rechtsanwaltskammer München untersagte den Erwerb der Anteile und drohte mit dem Entzug der Zulassung der Halmer UG zur Rechtsanwaltschaft.

Stellungnahme des Generalanwalts

Der Generalanwalt kommt zu dem Schluss, dass die in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vorgesehenen Beschränkungen hinsichtlich der Beteiligung von Nicht-Anwälten an Rechtsanwaltsgesellschaften nicht mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG vereinbar sind. Insbesondere fehle es den Vorschriften an der erforderlichen Kohärenz, um die Ziele dieser Richtlinie zu erfüllen.

Kapitalverkehr und Niederlassungsfreiheit in der EU

Der Generalanwalt argumentiert, dass die Vorschriften der BRAO eine unzulässige Beschränkung der Freiheit des europäischen Kapitalverkehrs darstellen. Zudem werde die EU-Niederlassungsfreiheit beeinträchtigt, da Investitionen von Nicht-Anwälten in Anwaltsgesellschaften grundsätzlich verboten sind.

Anwaltliche Unabhängigkeit in Deutschland ist kein Superrecht

Der Generalanwalt erkennt zwar an, dass die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und der Schutz der Rechtsuchenden legitime Ziele darstellen. Er betont jedoch, dass die Maßnahmen verhältnismäßig und kohärent sein müssen. Dies sei bei den bestehenden Regelungen der BRAO nicht der Fall.

Vorwurf der Inkohärenz der standesrechtlichen Anwaltsregelungen

Die BRAO erlaubt es bestimmten Berufsgruppen (z.B. Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern), Anteile an Rechtsanwaltsgesellschaften zu halten, während andere ausgeschlossen sind. Diese Unterscheidung sei nicht hinreichend begründet und daher inkohärent – so der Generalanwalt im EuGH-Verfahren.

Impact auf die deutsche Anwaltschaft

Sollte der EuGH dem Votum des Generalanwalts folgen, was sehr wahrscheinlich ist, wird dies erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Anwaltswesen haben. Hier unsere Gedanken zu dem Szenario: Bei der Beurteilung der Auswirkungen der EuGH-Entscheidung spielen viele Faktoren eine große Rolle. Insbesondere gilt es folgende Punkte zu beachten.

Spezifischer Anwendungsbereich: Das Urteil wird zunächst nur für den konkreten Fall Anwendungsvorrang haben, in dem es um eine 51%ige Beteiligung und gesellschaftsvertragliche Einschränkungen geht.

Kein Einfluss auf rein deutsche Sachverhalte: Formell gesehen wird das Urteil keinen direkten Einfluss auf Fälle haben, die ausschließlich innerhalb Deutschlands angesiedelt sind.

Fortbestehen der BRAO-Normen: Die Normen der BRAO bleiben weiterhin gültig. Jede der 28 Rechtsanwaltskammern in Deutschland wird ihren eigenen Umgang mit der EuGH-Entscheidung finden müssen, was möglicherweise zu einem "Kammer-Shopping" führen könnte.

Anpassung des Standesrechts der Anwälte

Das Bundesministerium der Justiz, die Rechtsanwaltskammern und die Bundesrechtsanwaltskammer werden nun über mögliche Anpassungen der Regulierungen nachdenken müssen. Wahrscheinlich ist eine Regulierung der Fremdbeteiligung durch Maßnahmen wie Transparenz- und Aufklärungspflichten sowie zur Vermeidung von Interessenkonflikten.

Sollte der EuGH lediglich die fehlende Kohärenz rügen, könnte eine neue, strenge und kohärente Regelung eines Verbots in Betracht gezogen werden. Es wird ein Ringen um eine Regulierung erwartet, die die Unabhängigkeit und Verschwiegenheit der Anwälte bestmöglich schützt, während sie grundsätzlich eine Fremdbeteiligung erlaubt.

Folgen von Private Equity in Anwaltsgesellschaften

Das Votum des Generalanwalts beim EuGH könnte eine bedeutende Wende in der deutschen Anwaltschaft einleiten. Die Entscheidung des EuGH bleibt abzuwarten, doch die Weichen für eine Reform des Fremdbesitzverbots an deutschen Anwaltsgesellschaften scheinen gestellt.

Sollte das Fremdbesitzverbot weitestgehend gekippt werden, werden sich ausgewählte Private Equity-Investoren an Anwaltssozietäten beteiligen können. Eine solche Beteiligung von Finanzinvestoren wird sicher auch zu einem Innovationsschub im Rechtsmarkt verhelfen. Mit dem Einstieg von Finanzinvestoren würden deutsche Anwaltskanzleien Zugang zu erheblichen finanziellen Ressourcen erhalten. Dies könnte insbesondere kleinen und mittelständischen Kanzleien helfen, ihre Marktstellung zu stärken. Auf der anderen Seite könnten größere, kapitalstarke Kanzleien ihre Marktstellung aggressiver ausbauen und kleinere Kanzleien verdrängen. Dies würde zu einem intensiveren Wettbewerb führen.

Finanzinvestoren würden sicher Investitionen in neue Technologien fördern, um Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Dazu gehören IT-Systeme, Künstliche Intelligenz für Rechtsanalysen und automatisierte Dokumentenprüfung.