D&O-Schutz bei Geschäftsführerhaftung
Unternehmen verklagt CEO oder D&O – was ist klug?
D&O-Versicherungen haben für die Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen eine herausragende Bedeutung erlangt. Im Falle eines Schadens stellen sich oftmals wichtige Fragen für das Unternehmen und den Geschäftsführer.
D&O-Policen sind nicht nur in börsenaktiven Unternehmen zu finden; sie sind heute auch im Mittelstand nicht mehr wegzudenken. Die Haftungsrisiken für den C-Level steigen stetig in den vergangenen Jahren. Pflichtverletzungen werden heute deutlich konsequenter verfolgt, sei es aus Compliance-Gründen, aufgrund gestiegener Erwartungen von Gesellschaftern und Aufsichtsgremien oder infolge einer erhöhten Aktivität von Insolvenzverwaltern.
Bedeutung der D&O im Mittelstand
Der strenge Sorgfaltsmaßstab der speziellen Haftungsnormen in §§ 43, 64 GmbHG und § 93 AktG, der bereits leichte Fahrlässigkeit ausreichen lässt, wird bei einer Klage gegen den Geschäftsführer sehr gefürchtet. Die D&O-Deckung schützt dabei nicht nur das Privatvermögen der handelnden Manager, sondern wirkt zugleich als wirtschaftlicher Risikopuffer für die Gesellschaft selbst, indem sie versicherte Schäden abfedert und die finanzielle Stabilität in Krisensituationen stärkt.
Im Mittelstand ist die D&O-Police daher längst elementarer Bestandteil einer professionellen Corporate Governance. Die D&O ist nicht nur ein sinnvoller Schutz für die Manager. Sie hilft auch den gefährdeten und geschädigten Unternehmen.
D&O und vorprogrammierte Dreiecksbeziehungen
Bei einer von einer D&O abgesicherten Geschäftsführerhaftung liegt typischerweise ein Dreiecksverhältnis vor. Versicherungsnehmer ist regelmäßig das Unternehmen. Abgesichert und versichert ist jedoch das persönliche Haftungsrisiko des Geschäftsführers. Macht die Gesellschaft Ansprüche wegen Pflichtverletzungen des Geschäftsführers geltend, richtet sie diese unmittelbar gegen den schädigenden Geschäftsführer, obwohl dieser selbst nicht Versicherungsnehmer ist. Die D&O-Versicherung als sogenannter Versicherer wiederum ist vertraglich nur dem Geschäftsführer gegenüber zur Leistung verpflichtet.
Aus dieser Struktur ergibt sich ein Spannungsverhältnis, das nur durch den versicherungsvertraglichen Freistellungsanspruch des Geschäftsleiters aufgelöst werden kann. Gemeint ist damit Folgendes:
Freistellungsanspruch gegen die D&O
Aus dem D&O-Versicherungsvertrag ergibt sich ein Freistellungsanspruch beziehungsweise Freihalteanspruch zugunsten des Geschäftsführers. Zum Beispiel ist ein angegriffener CEO berechtigt, von der D&O-Versicherung Freistellung zu verlangen oder den Versicherer mit der Abwehr unbegründeter Ansprüche zu betrauen. Dieser Anspruch steht ausschließlich dem Geschäftsführer gegen die Versicherung zu.
Das geschädigte Unternehmen hat gegenüber der D&O-Versicherung zunächst keinerlei eigenes Recht. Aus diesem Grund kann sie den Versicherer nicht ohne Weiteres direkt in Anspruch nehmen, selbst wenn sie den zugrunde liegenden Schaden gegenüber dem Geschäftsführer geltend macht. Der Freihalteanspruch bildet damit die zentrale Verbindung zwischen Innenhaftung (Unternehmen ./. Geschäftsführer) und Versicherungsdeckung (Geschäftsführer ./. D&O-Versicherung).
Strategisch klug: Abtretung des Freistellungsanspruchs
Damit das Unternehmen auf die Deckung zugreifen kann, muss der Geschäftsführer seinen Freihalteanspruch abtreten. Erst die Abtretung des Freistellungsanspruchs an das geschädigte Unternehmen versetzt dieses oder im Insolvenzfall den Insolvenzverwalter in die Lage, Deckungsansprüche unmittelbar gegen die D&O-Versicherung geltend zu machen. Diese Abtretung bildet den rechtlichen Mechanismus, um die D&O-Versicherung direkt in die Schadensregulierung einzubeziehen.
Sie ermöglicht nicht nur eine effiziente Anspruchsdurchsetzung, sondern schafft auch die Grundlage für pragmatische Vergleichslösungen. Gerade in Distressed-Sachverhalten oder Insolvenzsituationen ist die Abtretung häufig eine wichtige Möglichkeit, Deckungssummen realisieren zu können.
Generelle Zulässigkeit der Abtretungslösung
Rechtlich gesehen ist die Abtretung des Freihalteanspruchs grundsätzlich zulässig. Einschränkungen können sich allenfalls aus dem Versicherungsvertrag ergeben, wenn dieser ein Abtretungsverbot oder ein Zustimmungserfordernis vorsieht. Solche beschränkenden Klauseln sind im Grundsatz wirksam, müssen sich aber der allgemeinen Angemessenheitskontrolle stellen. Insbesondere in Sanierungs- oder Insolvenzsituationen kann eine generelle Verweigerung der Abtretung treuwidrig sein, da sie den Versicherungszweck unterlaufen und die Durchsetzung der Deckung faktisch unmöglich machen würde.
Segen des Direktprozesses & Fluch der Beweislast
Die Gesellschaft hat also grundsätzlich keinen eigenen, direkten Anspruch gegen den Versicherer auf Zahlung oder Gewährung von Versicherungsschutz. Erst nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs kann die geschädigte Gesellschaft den Versicherer unmittelbar auf Freistellung oder Zahlung in Anspruch nehmen. In diesem Direktprozess tritt sie vollständig in die Rechtsstellung des Geschäftsführers ein. Dies bedeutet, dass sie auch dessen Darlegungs- und Beweislast übernimmt.
Dabei ist zu beachten, dass in den Organhaftungsprozessen im Verhältnis Gesellschaft - Geschäftsführer grundsätzlich eine für die Gesellschaft günstige Beweislastverteilung gilt. Die Gesellschaft muss lediglich darlegen und beweisen, dass im Pflichtenkreis des Geschäftsleiters ein Schaden entstanden ist. Anschließend trifft wiederum den Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters eingehalten hat oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Diese Beweislastumkehr – vergleichbar mit § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG – ist ein zentrales Element der Organhaftung und hat erhebliche praktische Bedeutung, weil sie die Anspruchsdurchsetzung deutlich erleichtert.
Es wird in der Litigation-Praxis bis heute heiß diskutiert, ob diese für die Gesellschaft vorteilhafte Beweislastregelung auch im Direktprozess gegen den D&O-Versicherer gilt, also dann, wenn der Freihalteanspruch des Geschäftsleiters zuvor an die Gesellschaft abgetreten wurde. Zahlreiche juristische Autoren bezweifelten dies und fordern, dass die Gesellschaft im Direktprozess wieder die volle anspruchsbegründende Beweislast tragen müsse. Diese Unsicherheit hat in der Praxis häufig dazu geführt, dass Unternehmen von der Konstruktion eines Direktanspruchs durch Abtretung Abstand genommen.
OLG Frankfurt: Maßgeblich bleibt Organhaftung
Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich mit dieser Frage befasst. Das OLG Köln hat bereits 2013 entschieden, dass die Beweislastumkehr auch im Direktprozess gilt, weil sich die Anspruchsgrundlage des zugrunde liegenden Haftungsanspruchs durch die Abtretung nicht ändert. Maßgeblich bleibt also die Organhaftung, deren Beweislastregeln inzident auch im Deckungsprozess Anwendung finden. Dieser Auffassung hat sich jüngst auch das OLG Frankfurt a.M. (Urteil vom 08.05.2025 - 3 U 113/22) ausdrücklich angeschlossen. Beide Gerichte gehen davon aus, dass die Besonderheiten der Organhaftung – einschließlich der Beweislastumkehr – in den Direktprozess „hineinwirken“, wenn die Gesellschaft anstelle des Geschäftsführers den Versicherer unmittelbar in Anspruch nimmt.
In der Rechtsprechung zeichnet sich also das Bild ab, dass die Abtretung des Freihalteanspruchs nicht zu einer Verschlechterung der Beweislastposition der Gesellschaft führt. Für die geschädigten Unternehmen ist dies ein wichtiger Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit. Die Durchsetzung von Direktansprüchen wird dadurch rechtlich kalkulierbarer. Gleichwohl gibt es zu dieser Frage noch keine abschließende höchstgerichtliche Klärung, weshalb eine entsprechende Vorsicht bei der Planung der gerichtlichen Schadensregulierung angesagt ist.