Können Gewinnausschüttungen in der Insolvenz zurückgefordert werden?

BGH-Urteil zur Gewinnausschüttung

Man könnte meinen, dass erwirtschaftete Gewinne gefahrlos ausgeschüttet werden können und dem Gesellschafter zur freien Verfügung stehen. Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22.07.2021 entschied jedoch darüber, ob eine Gewinnausschüttung in bestimmten Konstellationen später zurückgefordert werden kann (Az: 9 ZR 195/20).

Veröffentlicht am: 05.02.2022
Qualifikation: Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Hamburg
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Was bedeutet Thesaurierung bei Gewinnausschüttungen?

Das Recht, erwirtschaftete Gewinne auszuschütten, gehört zu den Kernkompetenzen eines Gesellschafters. Im Grundsatz sind die Gesellschafter frei, wie mit den Erträgen der Gesellschaft verfahren werden soll.

Diese Erträge können entweder im Unternehmen belassen werden. Dies wird gemeinhin auch als Thesaurierung bezeichnet. In diesem Fall kann das Unternehmen die stehen gelassenen Gewinne als „working capital“ für unternehmerische Zwecke nutzen. Technisch kann eine solche Thesaurierung durch die Bildung einer Gewinnrücklage oder durch einen Vortrag der Gewinne auf neue Rechnung erfolgen, die Entscheidung hierzu treffen die Gesellschafter. Der Unterschied liegt darin, dass eine Gewinnrücklage wieder aufgelöst werden muss, während ein Gewinnvortrag ohne einen Beschluss wieder für Ausschüttungen genutzt werden kann.

Zu beachten ist, dass bei Kapitalgesellschaften, also einer GmbH oder AG, eine Entscheidung über die Gewinnverwendung erst nach Feststellung des Jahresabschlusses erfolgen kann, in dem die Gewinne ausgewiesen sind. Bei Personengesellschaften ist das nicht erforderlich.

BGH zur Rückforderung der Gewinnausschüttung

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nahm der Insolvenzverwalter der schuldnerischen GmbH die Gesellschafterin auf Rückzahlung von Gewinnausschüttungen in Anspruch. Die beklagte Gesellschafterin hatte den im Geschäftsjahr 2008 noch erzielten Gewinn der GmbH zunächst auf neue Rechnung vortragen lassen. Erst mit weiterem Gesellschafterbeschluss, Ende des Jahres 2009 gefasst, beschloss die Beklagte, diesen Gewinn in wesentlichen Teilen doch auszuschütten, was anschließend auch geschah. Am 31.03.2010 stellte die GmbH den Insolvenzantrag.

Die Klage des Insolvenzverwalters hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof sah in der Gewinnausschüttung einen der Rückführung eines Darlehens vergleichbaren Vorgang. Gemäß der Insolvenzordnung sind Rückzahlungen aus Gesellschafterdarlehen oder gleichgestellte Forderungen anfechtbar und zurückzuzahlen, sofern die Tilgung im letzten Jahr vor oder nach dem Insolvenzantrag erfolgt ist.

BGH: Gewinnausschüttung und Gesellschafterdarlehen vergleichbar

Zuvor hatte der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass Gewinne einer Personengesellschaft, die nicht zeitnah ausgeschüttet werden, einem Gesellschafterdarlehen vergleichbar und spätere Ausschüttungen daher anfechtbar sein können (Urteil vom 07.12.2020, Az: IX ZR 122/19). Durch seine neue Entscheidung hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung ausgedehnt auf den Fall, dass ein Gewinnvortrag zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschüttet wird.

Laut Bundesgerichtshof treffe der Gesellschafter, der sich gegen eine Ausschüttung entscheidet, eine Finanzierungsentscheidung zu Gunsten der Gesellschaft, die einem Darlehen vergleichbar ist. Es könne keinen Unterschied machen, ob der Gesellschafter den Gewinn zunächst ausschüttet und ihn dann der Gesellschaft darlehensweise wieder zuführt oder ob der Gewinn auf neue Rechnung vorgetragen wird.

Vorsicht in der Praxis: Stehenlassen von Erträgen oder die Bildung von Gewinnvorträgen kann zu Rückforderungsansprüchen führen

Für die Praxis ist zu beachten, dass das Stehenlassen von Erträgen oder die Bildung von Gewinnvorträgen oder Gewinnrücklagen in Krisenzeiten gut überlegt sein will. Denn bei einer späteren Entnahme oder Ausschüttung drohen Rückforderungsansprüche, sofern die Gesellschaft innerhalb des nächsten Jahres einen Insolvenzantrag stellen muss.

Nicht abschließend geklärt ist die Rechtslage, wenn eine Kapitalgesellschaft die Feststellung des Jahresabschlusses und damit auch die Entscheidung über die Gewinnverwendung hinauszögert und die Gesellschaft mit den noch nicht festgestellten Gewinnen finanziert wird. Jedoch dürfte auch hier ein Anfechtungsrisiko bestehen.