Moskau verklagt deutsche Anwaltskanzlei
Russland fordert 7,5 Milliarden Euro
Russlands Milliardenklage gegen eine deutsche Kanzlei ist mehr als ein Rechtsstreit – sie ist ein Angriff auf die Idee der Rechtsstaatlichkeit selbst.
Der weltbekannte russische Schriftsteller Dostojewski überlieferte uns: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt“. Nach den vielen Grenzüberschreitungen Russlands erübrigt sich jedenfalls die Debatte über die Rechtsstaatlichkeit im Land. In einer neuen Initiative versucht Moskau mit einer milliardenschweren Klage auch internationale Schiedsverfahren zu torpedieren und schreckt dabei auch vor persönlichen Angriffen auf Anwälte und Schiedsrichter nicht zurück. Ein beispielloser Fall mit Signalwirkung nicht nur in der Rechtsbranche.
Der Hintergrund: Energiegeschäfte, Enteignung, Schiedsklage
Wintershall Dea war über Jahrzehnte im russischen Energiemarkt engagiert. Es unterhielt ein Joint Ventures mit Gazprom und war an Nord Stream 1 und 2 beteiligt. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und den nachfolgenden politischen Eskalationen beschloss Wintershall 2023 den Rückzug aus Russland. Präsident Putin reagierte mit Enteignungsdekreten, durch die Anteile an russischen Energieprojekten auf russische Unternehmen übertragen wurden – ohne Entschädigung.
Dagegen wandte sich Wintershall Dea mit zwei Schiedsverfahren: eines auf Basis des bilateralen Investitionsschutzabkommens (BIT) mit Russland, das andere unter Berufung auf den Energiecharta-Vertrag (ECT). In beiden Verfahren geht es jeweils um rund 7,5 Milliarden Euro Schadensersatz.
Juristische Taschenspielertricks & Drohkulisse
Wer nun meint, dass Russland wiederum mit einer Klage und Schadensersatz gegen Unternehmen reagiert, der greift zu kurz. Russland eröffnet eine Gegenoffensive vor heimischen Gerichten: Der Generalstaatsanwalt hat beim Moskauer Commercial Court eine Klage sowohl gegen Wintershall Dea als auch die Kanzlei Aurelius Cotta sowie die drei internationalen Schiedsrichter eingereicht. Sollte das ECT-Verfahren weitergeführt werden, droht Russland allen Beteiligten gesamtschuldnerisch mit einer Strafe in Höhe von 7,5 Milliarden Euro – auch gegenüber den privaten Akteuren.
Die Klage stützt sich auf Artikel 248 der russischen Schiedsordnung. Dieser erlaubt russischen Gerichten, sich selbst für zuständig zu erklären, wenn russische Personen unter westlichen Sanktionen leiden und dadurch „Zugangshindernisse zur Justiz“ entstehen. Das bedeutet im Klartext: Ein westlich besetztes Schiedsgericht genügt bereits, um eine internationale Zuständigkeit russischer Gerichte zu behaupten.
Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen
Das Vorgehen der russischen Justiz ist in mehrfacher Hinsicht beispiellos. Erstmals wird nicht nur ein Unternehmen, sondern auch dessen anwaltliche Vertretung sowie neutrale Schiedsrichter mit Milliardenforderungen überzogen. Betroffen ist unter anderem Sabine Konrad, eine international renommierte Schiedsrechtlerin, die Deutschland bei großen Verfahren vertreten hat.
Dass nun auch die Unabhängigkeit von Schiedsgerichten frontal angegriffen wird, gefährdet das Fundament der internationalen Streitbeilegung. Russland formuliert abenteuerliche Vorwürfe, wie „Einflussagenten westlicher Sanktionen“. Zwar wäre ein russisches Urteil in der EU nicht vollstreckbar, doch bleibt die Drohkulisse bestehen, vor allem mit Blick auf Drittländer gehen die Drohungen an den international tätigen Juristen nicht spurlos vorbei.
Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit – ein gefährliches Signal
Die Klage aus Moskau ist kein gewöhnlicher Rechtsstreit – sie ist ein Angriff auf die Idee der rechtsstaatlichen Streitbeilegung selbst. Wer Anwälte und unabhängige Schiedsrichter mit persönlichen Sanktionen überzieht, untergräbt die Grundprinzipien des Völkerrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit.
Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hat das Vorgehen bereits zu Recht als „Einschüchterungsmaßnahme“ verurteilt. Denn wenn solche Schritte Schule machen, wird kein Schiedsverfahren gegen autoritäre Staaten mehr ohne persönliche Risiken für die Beteiligten geführt werden können. Der Preis für die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit wird dadurch künstlich erhöht – und genau das dürfte das Kalkül sein.